Fieselndes Gequieke

Nach den Trompeten kommen die Solo-Gitarristen, weiß der Henker, wer sich diese Reihenfolge ausgedacht hat. Wenn sie völlig hemmungslos sind, haben sie ein Fußschemelchen dabei, schließlich wollen sie „Satisfaction“ und „Yesterday“ in klassischer Haltung durch den Wolf drehen.

Am frühen Nachmittag werden die Besetzungen dann allmählich größer. Marodierende Rock-n-Rollkommandos bauen mit schnellen geschickten Bewegungen kleine Drumsets vor die Tür, auch ein Kontrabass ist dabei. Sieht ja gut aus, so viel Holz. Und dann tobt der Rockabilly durch die Gassen, dass es nur so scheppert. Nicht fehlen darf das Saxofon. Als Bill Clinton Präsident war, verzeichneten deutsche Musikschulen Zuwachsraten von 600 Prozent bei den Saxofonschülern. Mit ihnen konnte man bei jedem Jazz-Workshop eine Aula füllen. Heute bevölkern sie die Straßencafés Europas und haben nur eins im Sinn: improvisieren. Hei, wie das quiekt und fiepselt, dass man gar nicht mehr weiß, wie das Stück ursprünglich geheißen hat. Wenigstens spielen sie nicht Blockflöte.

Zu Kaffee und Kuchen gibt es dann Folk, keltisch, kubanisch oder Klezmer. Im Folk gibt es zwei Sorten von Musikern. Die einen können nicht singen, die anderen spielen lieber Geige. Widerstand ist absolut zwecklos. Die einen krakeelen, die anderen knarzen, beiden verrutscht der Ton. Wehrlos sind die Gäste, die gerade ihre Finger-Food-Platte für zwei Personen serviert bekommen, hilflos sind die Anwohner. Man kann ja nicht woanders hinziehen, bloß weil pausenlos akustischer Sondermüll produziert wird. Und wenn, dann müsste es eine Straße sein, in der der Verkehr so laut ist, dass dort keiner Musik machen möchte.

Tabla, Conga, Triangel, Xylofon, Saz, Klarinette, Oboe, Cello, Harfe, Banjo – das Defilee der Instrumente ist lang, auch tragbare E-Pianos finden ihren Weg. Nur Protestsongs gibt es in Berlin-Friedrichshain nicht. Wogegen will man auch protestieren: „Hey, hey, Servicekraft, der Frozen Yoghurt ist zu warm.“ Das ist nicht der Stoff, aus dem die Revolte geboren wird. Und einen Reim auf Frozen Yoghurt gibt es auch nicht.

Spätestens ab dem 2. April sehnt man den Herbst herbei. Schließlich ertönt „Bésame mucho“ zum letzten Mal, „la ultima vez“, wie es im Text hintersinnig heißt. Dann wird es kalt. Und still. Herrlich.

Veröffentlicht in taz – Die Wahrheit (02.07.2011)

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