Höllisch gute Gaudi

Wenn Siegbert Penzing vor der kleinen Vitrine mit den vier abgekauten Holzstückchen steht, sieht man ihm an, wie glücklich er ist. Der Kurator des Museums für Europäischen Kram und Gedöns (EKG) in Aachen flüstert: „Da sind sie, Hadubrands Männchen. Sie wurden ihm als Grabbeigabe mit in den Sarkophag gelegt.“ Die runzligen Artefakte führen zurück zu den Anfängen von „Mönch ärgere dich nicht“, dem erfolgreichsten Spiel aller Zeiten.

Im nebeligen Herbst des Jahres 811 im Kloster Murnau verlebt Hadubrand, ein 23-jähriger Mönch aus dem Allgäu, mit seinen Betbrüdern wieder einmal langweilige Tage. Um dem eintönigen Klosteralltag zu entgehen, denkt er sich Spiele aus. Monotheopoly scheitert an den komplizierten Spielregeln, die primitiven Darts, die den Mann am Kreuz treffen sollen, sind dem Klostervorsteher zu heikel. Stattdessen schnitzt der fingerfertige Hadubrand Männchen aus dem zarten Holz der Wipfeleibe, malt sie an und gestaltet einen primitiven Spielplan, der beim Großen Brand von 852 leider verloren gegangen ist. Der promovierte Mediävist Penzing ist sich aber sicher, wie er ausgesehen hat: „Er war auf jeden Fall kreuzförmig, so wie heute auch. Auf dem Spielfeld durfte man sich nur bewegen, wenn man bibelfest war. Wer vorrücken wollte, musste erst eine Bibelstelle richtig zitieren oder ein wenig Exegese betreiben.“

Ziel des Spiels ist es, seine vier Männchen ins Paradies zu bringen. Wer zu wenig weiß, dessen Spielsteine landen in der ewigen damnatio. „Gehe in die Hölle, gehe nicht durch das Fegefeuer, ziehe keine 4.000 Rosenkränze durch“, zitiert Penzing aus dem offiziellen, in Nürnberg gedruckten Regelwerk. Hadubrand muss wohl damals den Zeitgeist getroffen haben, denn die Chronik des Klosters notiert in den darauffolgenden Jahren stets: „Habemus Gaudi.“

Anlässlich einer Reise Karls des Großen nach Bayern gelingt es Hadubrand, den Kaiser vom Lehrwert des Spiels zu überzeugen. Bald darauf steht MaeDN, wie es in der mittelalterlichen Abbreviatur meist genannt wird, in jedem Kloster. Beflügelt von seinem Erfolg in Europa will Hadubrand im Heiligen Land ein neues Kapitel seiner Erfolgsgeschichte schreiben, verliert seine illuminierten Musterspielpläne jedoch beim Backgammon in Byzanz und stirbt bald darauf vor Gram. Seine originalen Männchen konnten im Rahmen eines deutsch-türkischen Ausgrabungsprojekts erst im vergangenen Jahr gesichert und eindeutig zugeordnet werden. Anders als bei der heute gefertigten Massenware haben die Figuren des flinken Hadubrand individualisierte Gesichtszüge. „Man kann sie sich wie Gartenzwerge vorstellen, die eine Kutte tragen“, sagt Penzing.

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