Der Frauenschuh hört zu

Gestern war meine erste von sieben Lesungen im Rahmen der Berliner Sprachwoche. Eine feine Sache ist das. Schriftsteller_innen und Politiker_innen, Künstler_innen und Zelebrität_innen schwärmen aus, um der Bevölkerung das Lesen nahe zu bringen. Und die Bevölkerung strömt geschlossen zu den ausgewählten Örtlichkeiten, um sich Labsal und Erbauung zu verschaffen.

Ich durfte im Botanischen Museum in Dahlem lesen, das sich im Botanischen Garten befindet. Ort der Lesung war der Blütensaal im zweiten Stock. Das Museum ist toll, es gibt riesige Blütenmodelle aus knallbuntem Stoff, größer als bei Robert Mapplethorpe. Vielleicht war ja auch Doris Dörrie hier, bevor sie ihre Cosi fan Tutte im Flower-Power Remix inszenierte. Dinge, die im Biologieunterricht so langweilig waren, dass ich mein Pult annagte, erschienen auf einmal triftig und spannend. Ich weiß jetzt zum Beispiel endlich, was eine Rispe ist.

Im Blütensaal gibt es herrliche Farbfotos von, genau, Blüten, und etwa 50 Stühle. Von denen blieben etwa 48 leer. Ab und zu kam ein Museumsbesucher vorbei, leicht zerstreut und auf der Durchreise. Ich las die Zeitung und wartete, saß da auf meinem graumelierten Stuhl wie die Spinne im Netz. Vor vielen Jahren spielte ich in einer Band und schon damals gefiel es mir nicht,  vorab eine Mindestzahl von Leuten festzulegen, vor denen wir spielen würden. Warum drei Leute enttäuschen, weil der vierte nicht kommen wollte? Und schließlich kam sie: meine Zuhörerin des Nachmittags. Unten am Eingang wollte sie erst gar nicht, als sie hörte, dass sie die einzige sein würde. Aber der freundliche Mann an der Kasse schickte sie nach oben.

Und da waren wir dann zu zweit allein zwischen Doldenblütlern, gebannt von den Abenteuern des brachialen Polizisten Dorfner, der in Kleine Biester ein Klassenzimmer in Schutt und Asche legt. Das gefiel der Zuhörerin, am Ende zog sie vergnügt von dannen, nicht ohne vorher ein Buch gekauft zu haben.

Ob ich die Szene mit Dorfner noch einmal lese, mal sehen. Am Freitag bin ich in einer Integrierten Gesamtschule und am Ende fühlen sich die Schüler_innen zu irgendetwas ermuntert. Oder die Bewohner_innen des Seniorenstifts am Sonntag, zu denen ich am Sonntag gehe. Die sind meist weit über achtzig und mögen keine Gewalt. Auch die sollen für Literatur begeistert werden. Der Auftakt in Dahlem war verheißungsvoll: Alle, die da waren, haben ein Buch gekauft.

Schnappschildkröten im Zeitalter arbeitsteiliger Dienstleistung

„Hammett“ heißt die Krimibuchhandlung in der Friesenstraße, die zusammen mit dem „Otherland“ die Premierenlesungen meiner bisherigen drei Krimis organisert hat. Im Februar war der Laden in der Berliner Abendschau zu sehen. In der Reihe gleich nebenan werden Läden in ihrem Kiez vorgestellt und Christian Koch weist in dem kurzen Beitrag auf ein ebenso interessantes wie geheimnisvolles Buch hin.

„Hammett“ und „Otherland“ liegen Tür an Tür. Wenn der passionierte Leser ein argloses Mammut ist, findet er am Marheinekeplatz sein doppeltes Teerloch. Die beiden Genretempel bieten erstklassiges Fachwissen und unendlich viel Leidenschaft für das geschriebene, gedruckte und übersetzte Wort.

Der Schriftsteller Dashiell Hammett ist mir übrigens wesentlich lieber als der Schriftsteller Raymond Chandler, auch wenn sie immer in einem Atemzug genannt werden, so wie Goethe und Schiller oder die Beatles und die Stones. Zum einen hat Hammett eine aus seiner Sicht bahnbrechende Studie zur Schnappschildkröte verfaßt, ein Tier das ich gerne auch mal in einem meiner Bücher unterbringen würde. Im „Hammett“ ist leider kein Platz für ein derartiges Wappentier, jeder Quadratzentimeter ist mit Büchern belegt.

Chandlers einsame Privatdetektive sind mir außerdem eine Spur zu romantisch, zu einsam, zu sehr die dislozierten Gegenentwürfe zu Staat und Polizei. Kein Alkohol ist auch keine Lösung aber Nur die Flasche war Zeuge nutzt sich irgendwann ab. Hammetts Ermittler sind Teil eines Teams, sie arbeiten arbeitsteilig für einen großen anonymen Dienstleister, die Agentur. Sie sind nicht besonders heroisch und auch nicht notwendig pausenlos schlagfertig und originell. Arbogast, der Detektiv, der in Psycho von Mrs. Bates gemeuchelt wird, könnte ein Hammettscher Ermittler sein, einem, dem es zur Abwechslung mal an den Kragen geht.

Die Continental Ops bedienen einen Bedarf, den der offizielle Ermittlungsapparat nicht mehr befriedigen kann oder soll. Wer heute einen Streit vor einem öffentlichen Gericht vermeiden will, weil es um intime Dinge geht, Patente, Lizenzen, Interna zwischen Inhabern, der geht zum Mediator. Das Familiengericht tagt meistens unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Die schmutzige Wäsche und wer sie behalten darf, geht niemand etwas an. Wer einen Ermittler braucht und das Gesetz meiden will oder muss, nimmt sich einen Private Eye. Der ist genauso ein kleiner Angesteller wie der Anwalt in einer Großkanzlei. Chandlers Ermittler erinnern da mehr an Petrocelli oder John McClane mit ihrem fröhlichen oder gewalttätigen Ein-Mann-Humanismus und sind genauso antiquiert.

Hammett besitzt eine außergewöhnliche Erzählökonomie, in „The Glass Key“ gibt es kein Wort zu viel, es ist eine superspannende, lakonische, geradezu maulfaul erzählte Geschichte. Kein Wunder, dass er von den Coen-Brothers als „Miller’s Crossing“ verfilmt wurde.

Die sprachlichen Knalleeffekte, die grotesken One-Liner, die Chandler so glänzend beherrscht, hat Hammett auch drauf. Er setzt sie nur viel sparsamer ein. In „Zierfische“ heißt es über eine Figur, die die Geschichte nicht überlebt: „Er blieb so sitzen, schlaff, das Kinn auf der Brust, die Augen nach oben gerichtet. Tot wie eine gepökelte Walnuß.“ Die Zierfische überleben übrigens auch nicht, auch wenn sie keiner Schnappschildkröte zum Opfer fallen.

 

 

 

 

Am Weltstar vorbei

Berlinale war gut“, sagt Pamela und rührt gedankenverloren in ihrem Kaffee. „Robert Pattinson und dieser Khan aus Indien. Und natürlich Angelina Jolie und Meryl Streep.“ – „Berlinale ist immer gut“, ergänzt ihre Freundin Agnes, zieht an ihrer Zigarette und streicht sich eine Strähne aus der Stirn. „Große Namen, viel Publikum, miserable Verkehrsverhältnisse. Da kommt man quasi von allein zu spät.“

Die beiden jungen Frauen, die wir in einem Coffeeshop nahe der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte treffen, haben ein ungewöhnliches Hobby. Sie verpassen Stars. Seit fünf Jahren schon sind sie unterwegs auf den Tummelplätzen der Schönen und Reichen, in Berlin, Cannes und Venedig, bei den Festspielen in Salzburg und Bayreuth. Wo sich die ganz großen Namen ein Stelldichein geben, sind Agnes und Pamela nicht weit. Aber eben auch nie ganz nah dran. Begonnen hat das alles in Wien im Jahr 2006. Die beiden waren in der Langen Nacht der Museen unterwegs und wollten zu einer Lesung mit Tex Rubinowitz.

Wir hatten sogar ein Buch von ihm dabei, um es signieren lassen“, sagt Agnes. Aber dann war ein anderer Autor bei der Lesung ausgefallen. Rubinowitz las früher als geplant, und als sich die beiden in das Foyer des Leopoldmuseums hineingedrängelt hatten, sahen sie ihn gerade von der Bühne verschwinden. „Und dann ist uns Wolfgang Schüssel begegnet.“ Pamela schüttelt den Kopf. „Er kreuzte unseren Weg und sagte ,Guten Abend, die Damen.‘“

Als sie am nächsten Tag von der Begegnung mit dem österreichischen Bundeskanzler in der WG erzählten, reagierten die Mitbewohner bedrückt. „Alle hatten den Kopf gesenkt, keiner sagte etwas. So richtig begeistert waren wir ja auch nicht über diesen Vorfall.“ Pamela rollt die Augen. „Ich meine, Wolfgang Schüssel treffen ist ein bisschen wie von Thomas Gottschalk begrapscht werden. Man kann davon erzählen, aber man möchte es kein zweites Mal erleben.“

„Das mit Herrn Rubinowitz war anders“, fügt Agnes hinzu. „Da schlug uns eine Welle des Mitgefühls entgegen. Sag bloß. Der Rubinowitz. Verpasst. Und nicht mal das Buch signiert. Schade, schade.“

Danach beschlossen die beiden Frauen, es anders zu machen als der Rest. Prominente treffen kann heutzutage schließlich jeder. Überall gibt es Horden von Stars, in der U-Bahn, beim Bäcker, beim Frisör.