Die Arbeit am Mythos

In dieser Saison dürfte die Zweite Liga prominenter besetzt sein als die Bundesliga, was Mythologie und Historiographie angeht. Oben Augsburg, Hoffenheim, Hertha, Leverkusen, Wolfsburg, Freiburg und Mainz, eine Etage tiefer 1860 München, Dynamo Dresden, Eintracht Braunschweig, St. Pauli, Eintracht Frankfurt, Fortuna Düsseldorf und Union Berlin. Da kann man jetzt natürlich trefflich streiten, wessen Mythos mythischer ist. Der Eigenausbau der Alten Försterei oder die Breisgau-Brasilianer, der Kiez-Klub oder der Karnevalsverein, das Hackentor von Grafite oder Fußball 2000 mit Yeboah-Bein-Okocha, das Bundesligaspiel mit den meisten Zuschauern Hertha – Köln oder die Fans von Jägermeister Braunschweig. Der schönste Mythos kann nicht an gegen eine vogelwilde Vereinspolitik, wie die Sechzger seit Jahren ein ums andere Mal zeigen. Aus den Talenten, die sie deshalb abgeben mussten, könnte man eine EM-taugliche Nationalmannschaft bauen. Umgekehrt kann man sich fragen: Was wäre die Bundesliga ohne Ulf Kirsten, die Tore des Jahres von Bernd Schuster, Reiner Calmund und den großen Ze? Ohne Haching am letzten Spieltag? Die Werkself hat zwar nicht die Aura einer Südtribüne oder eines Betzenbergs, aber wer will bestreiten, dass Vizekusen in der Hall of Fame, Shame and Game sich seinen Platz längst redlich verdient hat?

Sag mir was Schmutziges, Liebling

Einszunull.

Willkommen zur 49. Bundesligasaison. Es waren die beiden schmutzigen 1-0, die dem ersten Spieltag das Sahnehäubchen aufsetzten. Das 1-0 von Nürnberg erlebte ich im Olympiastadion. Es war das erste Saisonauftaktspiel, das ich live erleben konnte. Kann schon sein, dass der Sieg für den Club unverdient war, die Niederlage für Hertha jedenfalls war verdient. Wer bei seiner Rückkehr so wenig zustande bringt, der fängt sich dann halt eins ein kurz vor Schluß. Nürnberg präsentierte eine gelungene Mischung aus Borussia Dortmund (Technik) und Tai Chi (Geschwindigkeit). Und immer, wenn sie so schnell kombinierten wie in der letzten Saison, war Hertha überfordert. Das war im ganzen Spiel insgesamt 43 Sekunden lang der Fall. Eine Chance in der ersten, eine Chance in der zweiten Halbzeit und das 1-0.

Torschütze Pekhart ist ein interessanter Mann. Nicht ganz so groß wie Peter Crouch, aber stets in der Lage den tödlichen Pass zu spielen. Er fällt ein bißchen theatralisch, aber das liegt wahrscheinlich auch daran, dass man bei einem 1,94-Mann spontan denkt: Hab dich nicht so. Bemerkenswert auch die Deckungsarbeit der Nürnberger, die alle defensiven Kopfballduelle gewannen. Schäfer hatte zwei Bälle zu halten. Der neue Mann Klose fügte sich gut ein. Feulner lancierte überraschenderweise nicht gleich wieder einen Hattrick wie gegen Bielefeld, dribbelte sich ein paar Mal fest, ansonsten aber weder Angst noch Bange ums Mittelfeld aufkommen ließ. Cohen zeigte mehr Kampfgeist als die gesamte Hertha. Hegeler gab 28 Sekunden nach seiner Einwechslung die Vorlage zum Siegtreffer,  Mendler spielte gut mit. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob hier wirklich Not gegen Elend am Start war, oder ob diese Club-Abwehr auch Mannschaften mit einer Offensive in Schach halten kann. Dass vier der sieben wichtigsten Spieler (Schieber, Wolf, Eciki, Gündogan) weg gegangen sind  – Schäfer, Pinola und Simons sind noch da – war dem Club nicht anzu merken. Und in der Hinterhand Mak, Herr Nilsson, Maroh, Frantz, Esswein und Bunjaku, ein sehr ausgeglichener Kader. Die Mannschaft hatte Ordnung und Spielanlage, in Zukunft alles dreimal so schnell, dann war das der Anfang einer wunderbaren Spielzeit.

Wir saßen in einem gemischten Block, sehr viele Clubfans im Stadion, sogar der Oberrang des Fanblocks war gut gefüllt. Neben uns ein Ostberliner, ins Stadion gekommen, um Hertha eine faire Chance zu geben. Er war restlos enttäuscht.  Die Herzen der Berliner zu gewinnen, wird weiter eine Herausforderung für den Aufsteiger. Sportlich muss dieses Spiel nicht viel heißen. Vielleicht tun sie sich auswärts anfangs sogar leichter. Unterschätzen sollten sie den im Umbau befindlichen HSV trotzdem nicht. Die haben von  Barcelüdenscheid zwar ihre Auftaktlektion bekommen, trotzdem sah das schon wieder sehr nach Mannschaft aus. Nach überforderter Mannschaft, aber immerhin.

Das zweite 1-0 des Spieltags trug sich in München zu. Die stets schonungslos analysierende Süddeutsche titelt: „Aufbruch in den Krisensommer“. Das steht zwar im Wirtschaftsteil, bezieht sich aber womöglich auch auf das FestgeldConto Bayern München, dessen Ratings am Sonntag Abend in den Keller rauschten.  Zuletzt konnte glaube ich Kaiserslautern das Auftaktspiel in München gewinnen, die wurden dann mit Rehhagel Meister. Der kicker schreibt ebenso schonungslos: „Nachdem zwei große Möglichkeiten nicht in die überfällige Führung des FCB mündeten, sorgte ein Missverständnis in der Bayern-Abwehr für die Entscheidung.“ Ein Mißverständnis namens Neuer, was wirklich ein Jammer für den begabten und sympathischen Buerer Bua, aber nicht minder absehbar ist. Der Club verlor 2007/08 sein Auftaktspiel nach einem Patzer des neuen Keepers Blazek zu Hause gegen Schalke mit 0-2. Blazek blieb immer ein Fremdkörper und der Club stieg ab. So schlimm muss es für Bayern nicht kommen, es gibt ja Hertha und Köln, aber  jetzt geht es nach Wolfsburg. Die Wölfe von Dompteur Magath mit einem Bärenhunger auf Tore ausgestattet. Das könnte schwierig werden, auch wenn Grafite nicht mehr da ist.

Bremen spielt wieder Fußball, ist das nicht schön.

Immer wieder Mittwoch

Schade, dass es keine englischen Wochen in der Bundesliga mehr gibt, das waren immer kleine Sahnehäubchen nach eines harten Tages Nacht. Diesmal, wegen der WM, die bekanntlich nichts anderes war als eine groß angelegte Intrige von Sepp Blatter und dem KNVB, um den Bayern die ihnen zustehenden Titel zu stehlen und deren Fuhrpark zu demolieren, war es aufregend wie früher. Viele frühe Tore, vier Spiele wurden erst in der Schlußminute entschieden, ein paar rote Karten gab es auch. Flutlicht schafft den Rahmen für die besonderen Momente.

Bis auf die zu zaghaften Hoffenheimer gewannen immer die Richtigen. Grafite ist wieder da, weil McClaren sein System verändert hat, der Club wuppt seit dem 3-2 in Wolfsburg letztes Jahr wieder mal ein Punktspiel in der Nachspielzeit. Pino will es wissen in dieser Saison, schon den Elfer beim HSV hat er sicher verwandelt. Nie war er so wertvoll wie heute. Die Mannschaft sieht gut aus, steht gut, läuft viel, hat das Glück des Tüchtigen und wieder eine funktionierende Abwehr.

Für St. Pauli trifft Asamoah und dreht das Spiel. Gazprom schlägt die Breisgauer Sonnenkollektoren, schöner noch als das Tor von Huntelaar war die Vorarbeit von Matip.  Mainz bleibt vorne dran, weil Tüftel-Tuchel wieder einmal die richtige Taktik hatte. Das ist nicht nur Laufstärke und Euphorie bei Mainz. Außer bei Mourinhos Siegesritt durch die Champions League habe ich selten ein Team erlebt, das taktisch so gut eingestellt ist und so variabel reagieren kann wie die Mainzer. Hannover spielt sich die Alptraum-Saison von der Seele und Dortmund spielt so gut, dass die Fans auf der Südtribüne grinsend den Kopf schütteln.

Bayern spielt jetzt nacheinander gegen die Teams auf Platz 1 und 2, danach kann man sehen, ob sich die Tabelle eingependelt hat, oder ob man schon auf Außenseiter wetten darf.