Eine Runde Armageddon für Alle

Der Schang, Jean Löring, der langjährige Präsident von Fortuna Köln, hat 1999 einmal seinen Trainer Toni Schumacher in der Halbzeitpause entlassen, als seine Fortuna gegen Waldhof 0-2 zurücklag. Abgesehen davon, dass jeder Jeck anders ist, sind solche Schnellschüsse eher selten. Warum in aller Welt also denkt man in Nürnberg über eine Entlassung von Trainer Ismaël nach, während die erste Halbzeit (der Saison) noch läuft, obwohl das Saisonziel noch erreichbar ist und die Mannschaft sich spürbar weiterentwickelt?

Sicher, Nürnberg steht nach 13 Spieltagen mit 14 Punkten auf Platz 14 und hat nach St. Pauli die schlechteste Abwehr. Aber welche realistischen Erwartungen durfte man an den Club haben für den 14. Spieltag? Welchen Tabellenplatz und welche Bilanz müsste er jetzt vorweisen, damit es keine Trainerdiskussion gibt? Im Moment hat er sieben Punkte Rückstand auf Platz 3. In der Vorsaison stand der spätere Aufsteiger Paderborn am 13. Spieltag auf Platz sieben und hatte fünf Punkte Rückstand auf Platz 2. Die Bild-Zeitung wetzt schon freudig die Messer und behauptet, dieser Rauswurf ziehe sich „wie Kaugummi“. Wann hätte man den Trainer dann entlassen sollen? Nach dem 1-5 gegen Fürth am zweiten Spieltag? Das wäre das richtige Signal für den langen Atem beim notwendigen Neuaufbau. Oder vielleicht besser nach dem 0-3 gegen Heidenheim am siebten Spieltag? Danach folgten die sieben Punkte gegen Kaiserslautern, Bochum und Leipzig. Dann vielleicht nach dem Unentschieden gegen St. Pauli, bei dem die Mannschaft zweimal zurückkam, obwohl sie krass benachteiligt wurde?

Sage jetzt keiner, Skripnik hat mit Werder auch schon dreimal gewonnen. Skripnik hat eine Mannschaft vorgefunden, die über zwei Jahre zusammengestellt wurde und ihre Leistung nicht abrufen konnte. Der Club muss erst einmal eine neue Mannschaft aufbauen, bevor man über deren (nicht abgerufenes) Leistungsniveau Aussagen treffen kann. Daran und nur daran sollte man die Arbeit des Trainers messen. Nicht am Tabellenstand und nicht am einen oder anderen verhunzten Spiel: Wirklich indiskutabel waren bisher drei Spiele: das 0-1 zuhause gegen den FSV Frankfurt, sowie die beiden 0-3 in Karlsruhe und Heidenheim. Das 1-5 in Fürth und das 0-2 zuhause gegen Düsseldorf fing man sich gegen zwei eingespielte Aufsteigsanwärter ein, gegen Darmstadt und Sandhausen war man gut im Spiel und scheiterte an der Unerfahrenheit. Und die muss wachsen, die bringt auch ein neuer Trainer nicht Ready-to-Play nicht einfach mit.

Ismaël macht sehr viel richtig: Er hat Rakovsky zur Nummer Eins gemacht, anders als in der Abstiegssaison, als der Club an seiner Ideenarmut im Offensivbereich scheiterte, erspielt sich diese Mannschaft ständig Chancen und hat statt eines Kreativspielers im Schmollwinkel (Kiyotake)  mit Schöpf, Candeias, Sylvestr und Füllkrug gleich vier davon in der Offensive. Ähnlich wie Schmidt bei Leverkusen besteht der Coach darauf, dass der Club immer, egal bei welchem Spielstand, das Spiel machen soll. Das wurde gegen Bochum und St. Pauli belohnt, gegen Sandhausen und Darmstadt nicht. Das langatmige Ballgeschiebe, das das letzte Drittel der Vorsaison bestimmte und auch unter Hecking viel zu oft praktiziert wurde, ist unerwünscht. Und nach vorne läuft das Bällchen immer wieder richtig gut. Wer Kaiserslautern eine Stunde lang aus dem Stadion spielt, hat ohne weiteres das Potenzial, rechtzeitig noch in das Aufstiegsrennen einzugreifen. Natürlich muss die Abwehrleistung besser werden, gerade das Siegtor von Sandhausen war ein Beitrag aus dem Katalog für Slapstickeinlagen. Immerhin aber hat man auch schon drei Mal zu Null gespielt, einmal gegen den Millionensturm von RB Leipzig. Auch in diesem Spiel bot der Club eine Leistung, die das Ziel sofortiger Wiederaufstieg als realistisch erscheinen läßt.

Es gibt genug Beispiele dafür, dass Geduld sich lohnt: der zunächst auf ganzer Linie gescheiterte Hjulmand in Mainz, Stöger in Köln, Korkut in Hannover, alle Jahre wieder Streich in Freiburg, nicht zuletzt auch der Duracell-Guru von Lüdenscheid. Umso mehr gilt das, wenn ein neuer Trainer mit einer komplett neuen Mannschaft arbeiten muss. Einen derart radikalen Umbruch wie beim Club hat es nicht oft gegeben. Dieser Umbruch war vollkommen richtig. Bis auf Kyiotake (seit drei Spielen) bei Hannover, Mak bei Thessaloniki und mit Abstrichen Hasebe bei Eintracht Frankfurt und Angha bei 1860 München sind die abgegebenen Spieler meilenweit von ihren persönlichen Zielen und den Erwartungen ihrer Vereine entfernt: Nilsson wollte mit Kopenhagen in die Champions League, das in der Europa League gerade 0-4 zuhause gegen Brügge verlor und in der Gruppe auf Platz 3 steht. Plattenhardt (zu Hertha), Chandler (zu Frankfurt), Feulner (zu Augsburg) wollten einen Stammplatz bei einem Bundesligisten und sind außen vor, Drmic ist bei Leverkusen ungefähr so wertvoll wie Schieber bei Dortmund, Ginczek steht nach seinem Kreuzbandriss nach wie vor ohne einzige Minute da, Stuttgart ist Letzter. Pekhart (bei Ingolstadt) wurde in sieben Spielen sechs Mal frühestens in der 64. Minute eingewechselt und ist bisher torlos. Mike Frantz schlägt sich gut in Freiburg, das ist der einzige Spieler aus dem alten Kader, den Bader nicht hätte verkaufen dürfen.  Aber der große Umbruch zu Saisonbeginn war genau richtig, auch wenn Bader dafür anhaltend verbale Prügel bezieht.

Es wäre ein Jammer, ein richtungsweisender Fehlgriff, wenn der Verein jetzt Ismaël feuert. Es wäre die vierte Neuausrichtung in weniger als zwei Jahren, seit Heckings Abgang Weihnachten 2012. Der Club nähert sich damit wieder seinen finstersten Zeiten an und äfft den HSV nach, der seit 2007 elf verschiedene Trainer hatte. Der Verein wird dadurch nicht attraktiver für Trainer, die das besitzen, was jeder haben will: ein Konzept und eine eigene Handschrift. Gegen Kaiserslautern hat Ismaël beim Stand von 3-2 in der 78. Minute seinen designierten Abwehrchef Hovland eingewechselt. Der Norweger absolvierte damit seine ersten zwölf Saisonminuten, und der Club brachte das Ding nach Hause. Das hat Stil, das ist Klasse, da ist mutiges Coaching belohnt worden. Gegen Sandhausen hat Ismaël dafür bezahlt, dass er Pinola eine neue Chance gegeben hat. Pino ist Kult, Fußballgott und Pokalsieger, aber seine Fehler in Serie haben den Club am Freitag um einen Punktgewinn gebracht. Aber dass Ismaël seinen Spielern vertraut, auch einem alten Haudegen, das war groß. Ismaël ist bereit, ins Risiko zu gehen und er denkt sich etwas dabei. Obwohl er in Wolfsburg ganz andere Möglichkeiten gehabt hätte, hat er sich für den Club entschieden.  Der Club sollte mit Ismaël weiterarbeiten.  Nach dem Derby gegen Fürth am 20.12. wird der Rückstand auf Platz 3 geringer sein als heute. Danach ist alles drin.

 

 

 

 

 

 

 

 

Saisonvorschau – Helter oder Skelter: HSV, Gladbach, Hannover, Nürnberg

Platz 7 und drei Punkte Rückstand auf Platz 6. Dass der HSV sich nach der letzten Saison auf dem Weg in die Europa League wähnt, ist keine Überraschung. Mir kommt das überzogen vor. Zum einen drängen von hinten Mannschaften, die letzte Saison phasenweise neben sich standen (Wolfsburg, Mainz, Stuttgart, Hoffenheim) zum anderen haben die 51 Punkte, die Frankfurt 2013 holte, selten genug für den sechsten Platz gereicht. 2010 hatte Stuttgart 55 Punkte, 2011 Mainz 58 Punkte, 2012 Stuttgart 53 Punkte. Mit Son ist der beste Stürmer weg, Anspruchsdenken und Möglichkeiten klaffen zu weit auseinander, um noch weiter nach oben zu kommen. Im Führungsgremium gibt es wenigstens eine notorische Petze, die die Frage aufwirft, ob sich an der Elbe die Illuminati breit gemacht haben. Mehr als Platz 7 ist auch diesmal nicht drin, trotz van der Vaart und Adler. Es sei denn, Rudnevs explodiert in dieser Saison, wie er angekündigt hat.

Gladbach hat im Pokal gleich mal einen Schuß vor den Bug bekommen. Die Botschaft ist deutlich: Lässig wird nicht reichen. Mit einem Auftakt gegen Bayern, Hannover und Leverkusen könnte sich die eine oder andere Enttäuschung nahtlos anschließen.  Was für Gladbach spricht, ist die eingespielte Defensive, die Verpflichtung von Kruse und das hohe Ansehen von Trainer Favre. Aber auch für die Borussia vom Niederrhein wird es eng beim Angriff auf die internationalen Plätze. Insofern ist es gleich doppelt blöd, dass man den Pokal als Qualifikationsweg für Europa hergeschenkt hat. Gladbach hat seit dem hauchdünnen Erfolg in der Relegation zwei nahezu optimale Jahre erlebt. Platz 8 vom letzten Jahr war nach dem Weggang von Reus und Dante fast schon sensationell. Jetzt beginnen die Mühen der (Hoch-)ebene, die irgendwo zwischen Platz 6 und Platz 10 liegt.

Martin Kind hat für Hannover irgendwo „zwischen Platz 3 und 6“ als Saisonziel ausgegeben. Ähnlich wie beim HSV kommt mir das sehr ambitioniert vor. Mit Abdellaoue ist ein guter Stürmer weg, mit Schmadtke der überdurchschnittlich gute Manager, dessen Handschrift man bei Köln schon sehen kann. Diouf kann sensationell werden, wenn er sich bis zum 31.8. nicht noch anders überlegt. Weiter nach oben zu kommen, läßt sich in jedem Fall nicht im Hurrastil der vergangenen Jahre bewerkstelligen. In der Europa League hat 96 traumhaft schöne und mutige Spiele abgeliefert, aber die kommende Saison wird ähnlich zäh wie das Pokalspiel gegen Viktoria Hamburg. Kann sein, dass Slomka ohne seinen Gegenspieler Schmadtke die Mannschaft wieder mehr beflügelt, aber es wird ein großes Gedränge geben zwischen Platz 5 und 15.

Der Club ist zwar schon wieder im Pokal ausgeschieden, trotzdem traue ich der Mannschaft die beste Saison seit dem Pokalsieg 2007 zu. Zwar sind Klose und Simons weg, und der sichere Elfmeterschütze Simons hat gegen Sandhausen gefehlt. Genauso wie Gebhardt und Pinola als Schützen gefehlt haben. Letzterer musste wegen Entkräftung leider sieben Minuten zu früh vom Platz. Aber der Club hat gegen Sandhausen nicht wegen der löchrigen Defensive verloren, sondern weil er seine spielerischen (und kämpferischen) Möglichkeiten zu halbherzig einsetzte. Der Club ist mittlerweile in der Lage, gegen jede Mannschaft in der Liga das Spiel zu machen. Wenn er das nicht tut, wird er alles verlieren. Bis auf die beiden Abgänge ist die Mannschaft beisammen geblieben, mit Pogatetz und Ginczek hat er zwei Sofortverstärkungen geholt, hinzu kommen die Langzeitverletzten Hlousek und Gebhardt als Quasi-Neuzugänge. Dass Mintal jetzt Co-Trainer ist, hat mehr als nur sentimentale Bedeutung. Er ist der Spieler, der beim Club in den letzten zehn Jahren den Unterschied gemacht hat und kann die Mannschaft nochmal einige Prozent besser machen. Der Club hat alles, was es braucht, um eine Saison am oberen Limit zu spielen: Routine (Feulner, Schäfer, Nilsson) und Jugend (Stark, Plattenhardt, Mendler), Biss (Gebhardt, Pogatetz, Balitsch) und Esprit (Kiyotake, Mak, Frantz). Mit Ginczek und Esswein hat er endlich zwei torgefährliche Stürmer. Wenn das Umfeld die Ruhe bewahrt und sich auch durch einen mäßigen Start nicht irritieren läßt, kann der Club da landen, wo die drei Mannschaften gerne hinwollen, die letzte Saison vor ihm standen.

Saisonziel erreicht

Dieter Hecking hatte sich zwei Tage vor dem Weihnachtsfest 2012 für seinen großen Karrieresprung Nach Vorne in Richtung Wolfsburg entschieden. Da gab es am 24.12. mit meiner fußballsachverständigen Tante unterm Strohstern vom Christkindlesmarkt dringenden Gesprächsbedarf. Trainer Wiesinger? Könnte passen. Plötzliches Abstiegsdrama? Nein, es gibt ja Fürth und immer zwei andere, die schlechter sind. Europaleague? Kommt für diese Mannschaft noch zu früh, besser gleich auf Platz 3 landen. Saisonziel? Schnell die 40 Punkte holen. Zusatzziel? Vor Wolfsburg stehen am Ende.

Mit dem schönen Schlußspurt gegen Bremen gelang nicht nur mal wieder ein Heimsieg gegen  die Hanseaten, dank des Eigentors des Wolfsburgers Rodriguez in der letzten Minute hüpfte der Club noch auf Platz 10 und holte mit 44 Punkten einen Punkt mehr als Heckings Europacupaspiranten. 44 Punkte, das sind zwei mehr als in der Vorsaison, in der es auch Platz 10 gab.

Seit der kernigen Aussage von Aufsichtsratsmitglied Klaus Schramm, „…mit der jetzigen Mannschaft kommt man nicht weiter…“  frage ich mich welches „weiter“ dem Herrn Schramm denn so vorschwebt. Vor einem Jahr habe ich nach einer negativen Heimbilanz (6-4-7) mit 22 Punkten gesagt, dass müsste besser werden. Damals stand der Club in der Heimtabelle auf Platz 13. Jetzt steht er mit sieben Siegen, sechs Unentschieden und vier Niederlagen auf Platz 9. Bei diesen sechs Untentschieden gehören die beiden 1-1 gegen Bayern und Dortmund zu den sportlichen Glanzlichtern der abgelaufenen Spielrunde. Aber um gegen Augsburg, den HSV, Freiburg und Hannover 96 zu gewinnen braucht es keine neuen Spieler. Es braucht die Zielstrebigkeit, die gegen stärkere Gegner wie Mainz und Schalke zu drei Punkten führte und die Courage, die gegen Düsseldorf und Bremen die letzten beiden Spiele drehen half. Mit diesen acht Punkten mehr hätte man 52 Punkte und stünde vor Freiburg und Frankfurt auf Platz 5. Siebzehn Heimsiege wären übrigens auch schon 51 Punkte. Klar, das ist Kaffeesatzleserei, aber bevor der Vorstand den frisch entschuldeten Verein wieder in die Miesen stürzt, lieber eine Hochrechnung mehr.

Die Abwehr, sechstbeste in der Liga, ist ein echtes Sahnestück. Ähnlich wie Dortmund (Subotic, Hummels, Santana) ist der Club in einer komfortablen Lage und verfügt über drei gleichwertige Innenverteidiger (Klose, Nilsson, Simons). Die Offensive läßt mit 39 Toren ein wenig zu wünschen übrig. Das ist der fünftschlechteste Wert, zehn Tore haben Abwehrspieler erzielt. Aber Freiburg wäre mit 45 Toren fast in die Qualifikation zur Champions League gekommen. Plattenhardt, Pekhart und Mak, das könnte eine ähnlich geile Combo werden wie Saenko, Schroth und Vittek. Plattenhardt schlägt Flanken wie der junge Pander, „der fliegende Robert“ Mak lernt allmählich seinen Kopf zu gebrauchen, und Pekhart ist ein Glücksgriff. Wiederhole: Glücksgriff.

Wenn, ja wenn die Götze-Millionen nicht eine Kettenreaktion in Gang setzen. Dann sind Kyiotake (meiste Assists mit ruhenden Bällen in der Liga), Nilsson (torgefährlichster Abwehrspieler der Liga) und Esswein (pfeilschnellster Linksaußen der…naja, fast jedenfalls) plötzlich weg, und der Club kann mit mehr Geld um sich werfen, als Herrn Schramm lieb ist. Im Zweifel werden wir auch in einem Jahr im gesicherten Mittelfeld stehen – und selbstverständlich wenigstens einen Platz vor Hecking, wohin ihn das Karrieresprungbrett auch katapultiert haben mag.