Männer, die auf Ticker starren

Vergangene Woche haben wir „Tinker, Tailor, Soldier, Spy“ gesehen. Es gab die kleine Sorge, ob ein Remake beziehungsweise eine so späte Verfilmung nach fast vierzig Jahren nicht alles ruinieren würde, aber wir wurden angenehm überrascht. Natürlich ist es zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer bekannt, dass der Kalte Krieg wenig ruhmreich war, aber diese Tatsache in so lakonischen Worten und Bildern noch einmal erzählt zu bekommen, paßt ganz gut in eine Zeit, in der der Krieg gegen den Terror als hoffnungslos gescheitert angesehen werden muss.

Russen und Briten, Smiley und Karla sind so innig miteinander verbunden, dass es den Eindruck erweckt, Spionage und Gegenspionage seien erfunden worden, um den Protagonisten der Anti-Hitler-Koalition den Abschied leichter zu machen. Zur Weihnachtsfeier im grauen Bürogebäude in London trägt Santa Claus eine Leninmaske, und die besoffenen Meister der Intrige grölen die sowjetische Hymne, als müssten sie beweisen, dass sie alle gute Kommunisten sind. Es ist eine der Stärken des Films, dass er diese symbiotisch-zärtliche Vertrautheit im mörderischen Kampf nicht auf Smiley und seinen sowjetischen Widerpart Karla beschränkt, also eine indivualisierte Buddy-Geschichte daraus macht, sondern den Habitus einer ganzen Berufsgruppe erzählt.

Eine weitere Stärke ist der fast vollständige Verzicht auf Frauen. Prevolution, das Remake von Planet der Affen im letzten Jahr, wäre beinahe ein großartiger Film über Männer, ihre Schöpfungssehnsucht und Menschwerdung geworden. Leider fügte man völlig sinnfrei Freida Pinto hinzu, die unentwegt verdammt gut aussah und ein wenig romantischen Schmalz hineinbrachte, aber erzählerisch funktionslos blieb. Smileys Leute sind geschieden oder leben in Trennung, Frauen sind für sie nur Bauern im großen Spiel. Ein Zynismus, der bei den Romeo-Agenten des MfS und in den James-Bond-Romanen auch zu finden ist, in den Bond-Filmen jedoch zum putzigen Herrenwitz herunterbagatellisiert wurde.

Ein ästhetisches Problem mit dem Westen habe er gehabt, sagt der Verräter am Ende zu Smiley. Die Häßlichkeit des eigenen Tuns ließ ihn wankelmütig werden. Die Widerwärtigkeit des Kalten Krieges, das sind im Film miefige Büros und konturlose Apparatischiks, das Spiel mit der Todesangst eines ungarischen Überläufers, fachkundig begangene Morde und der permanente Betrug des Nebenmanns.

Elf Jahre nach dem Angriff von Al Qaida auf die USA hat sich der Westen neue Dimensionen der Häßlichkeit erschlossen: Die Bilder von pissenden Marines, Bundeswehrsoldaten, die ihre Schwänze in Totenschädel stecken, Gefangenen, übereinandergeschlichtet wie Tote in einem Massengrab oder auf allen Vieren an einer Hundeleine, zerfetzte Leichenteile und Häuserschutt nach Luftangriffen sind die Visuals zu einem Krieg, der die siebziger Jahre beinahe romantisch erscheinen läßt. Control spielt Schach mit seinen Feinden, völlig undenkbar, dass er auf den toten Karla pissen würde, wenn er ihn denn kriegen würde. Ost gegen West war ein Kampf inter pares, heute gibt es nur noch Verhöhnung, Erniedrigung und wahlloses Gemetzel gegen Namenlose.

Endlos wiedergeboren

Heute ist es so weit, heute soll er kommen. Unser professioneller Spielleiter, der uns die kommenden Wochen mit „Urdu“ versüßen wird. „Urdu“? Sagen Sie bloß nicht, Sie hätten noch nie etwas von „Urdu“ gehört. „Urdu“ ist das Spiel des Jahres 2011. Und auch der diesjährige Sieger ist wieder etwas üppiger und komplizierter ausgefallen als die Spiele in den Jahren zuvor.

„Urdu“ hat seine Wurzeln in der jahrtausendealten indischen Kultur, und wenn ein altes indisches Sprichwort sagt, Schach sei „Urdu“ für Doofe, ahnt man schon, dass auch auf erfahrene Vielspieler wie uns eine echte Herausforderung wartet. Wir, das sind meine Frau, meine beiden fast erwachsenen Kinder, meine Schwiegereltern, die verwitwete Schwester meiner Schwiegermutter sowie mein jüngerer Bruder, die wir hier alle friedlich und fröhlich in unserem Mehrgenerationenhaus unter einem Dach wohnen.

„Urdu“ gibt es auch in einer kleineren Reiseversion, aber als wir es Weihnachten geschenkt bekamen, war die Wohnzimmervariante gerade gut genug. Der Spielplan besteht aus mehreren Platten des hellen und strapazierfähigen Holzes der Himalajabirke, die in großen Plantagen im Bundesstaat Uttar Pradesh unter Aufsicht von Robin Wood und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nachhaltig angebaut wird.

Zusammengesteckt ergeben die Platten eine Spielfläche von gut vier Quadratmetern. Diese wird mit einem stabilen Filz bespannt, der sich zusammen mit den Schraubhaken in einem Jutesäckchen in Karton zwei befindet. Dort sind auch die 1.234 verschieden farbigen Spielsteine zu finden, die mit ihrer Unterseite aus Velcro auf den Filz geheftet werden.

Im dritten Karton befinden sich die 752 Figuren, die die wichtigsten Gottheiten darstellen, Vishnu, Ganesha, Shankaranarayana und all die anderen. Sie müssen zusammengebaut werden. Die überzähligen Arme sind leider kein Ersatz für den Fall, dass mal etwas verloren geht, sondern gehören zu der vierarmigen Göttin Kali. Man muss gut aufpassen – wie schnell rollt eine Gottheit doch unters Sofa oder verschwindet im Flokati.

Sinn des Spiels ist es, auf dem langen Weg über 1.234 verschiedenfarbige Spielfelder so oft wie möglich wiedergeboren zu werden. Zu diesem Zweck rufen die Mitspieler die Götter an, und deshalb gibt es in Karton vier ein zweibändiges Handbuch über die Gottheiten und ihre Bedeutungen und Funktionen sowie einen Bildband, der in leicht verständlichen, nun gut, eigentlich höllisch schwer verständlichen Schaubildern die wichtigsten Spielkonstellationen erläutert.

Für Bischof Wulffila hat es sich ausgebetet

Dass in einem politischen Konflikt die Bildzeitung tatsächlich das kleinere Übel darstellt, kommt selten vor.  Aber weil ich froh bin, dass Burlesconis Breitseiten gegen die italienische Justiz und seine pausenlose Selbstinszenierung – er diente sich dem Boulevard nicht an, er besitzt ihn – vorläufig vorbei sind und es mich nervt, dass mit Ungarn der nächste EU-Staat seine kritische Öffentlichkeit liqudiert, bin ich den Herren Döpfner und Diekmann ausnahmsweise dankbar, dass sie den Brüller von Bellevue haben auflaufen lassen.

Wulff ist nicht der Erste, den eine Symbiose mit den bunten Blättern in die neverending Selbstdemontage geführt hat. Von Harald Juhnke über Lothar Matthäus gibt es eine lange Reihe hervorragender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die die Meinungsführer, die sie riefen, nicht mehr loswurden, und im übrigen auch jederzeit das Zeug zum Bundespräsidenten (gehabt) hätten, jetzt, da Wulff der Maßstab geworden ist.

Ursprünglich war der Bundespräsident eine väterliche Figur, der den führerlos gewordenen Westdeutschen Halt geben sollte, ohne per Notverordnung gleich das gesante Staatsgefüge über den  Haufen werfen zu können. Wie politisch erwachsen dieses Land doch geworden ist, dass es sich so einen unväterlichen Präsidenten genehmigt. Wulff ist kein „Papa“, sondern wäre in der Familienaufstellung der mißratene Cousin, der am Weihnachstabend mit dem nagelneuen Sportwagen das Garagentor demoliert, beschwipst in die Runde nickt und erklärt: „Dumm gelaufen.“

Eigentlich kann nur noch Helmut Schmidt das Präsidentenamt retten. Gottschalk ist schon bei der ARD, Jogi Löw hat EM und bei Guttenberg müßte man aufpassen, dass er nicht abkupfert, wenn er ein Gesetz ausfertigt. Schmidt ist 16 Jahre älter als der ewige Lausbub Hindenburg zu Beginn seiner Reichspräsidentschaft, brächte also auch genügend Lebenserfahrung mit. Er ist unbestechlich und unverwüstlich und würde sich niemals entblöden, Drohtiraden auf einem Anrufbeantworter zu hinterlassen. Lieber verspeist er die jeweilige Medienschranze zum Frühstück. Da er fünfzehn Jahre jünger ist als Jopie Heesters, hätte der rüstige hanseatische Querdenker garantiert eine, vielleicht sogar zwei Amtsperioden vor sich. Man müsste in Bellevue natürlich eine Sprinkleranlage installieren, steht ja alles unter Denkmalschutz dort. Aber um den Bundespräsidenten neu zu erfinden, wäre keine Investition zu groß.