Der Jünter hat ja so recht. Gestern Abend rund um den Boxhagener Platz gab es keine einzige Kneipe, die sich dem Formierungsdruck hätte entziehen können und bei der Sky-Konferenz geblieben wäre. Es gab nur noch das Spitzenspiel mit Franz „Die Mumie“ Beckenbauer als Co-Kommentator. Also stürzten sich meine Kollegin, die Schalke-Fan ist, und ich in das gelb-schwarz-rote Getümmel. Es war tatsächlich ein gutes Spiel und es ist fraglich, ob gegen die sich stets listig-gezielt verstärkenden Borussen (Perisic, Leitner, Reus, Gündogan) in absehbarer Zeit an der Säbener Straße ein Kraut gewachsen sein wird. Man kann den Schalkern den Torwart abwerben und den Leverkusenern den Trainer, aber irgendwann stößt jedes Festgeldkonto an seine Grenzen.
Ein surreale Note erhielt der Abend immer dann, wenn ich beim kicker die anderen Zwischenstände checkte. Ich meine damit nicht, dass der HSV 4-0 in Hoffenheim auf die Glocke kriegt, das ist lediglich ein notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zu neuer europäischer Größe. Sagen Arnesen und Fink. Also keine Panik bitte, nicht immer alles schlecht reden. Ein Hamburger Stadtderby in der Relegation liegt in greifbarer Nähe.
Traumverloren waren vor allem die Zwischenstände aus Nürnberg, die ich behutsam an meine Begleiterin durchgab. Nicht nur gelang gegen die Freunde aus dem Pott den höchsten Saisonsieg. In ihren Kommentaren nach dem Spiel sprachen Dieter „Die neue Sachlichkeit“ Hecking und Huub „Sorgenfalte“ Stevens unisono davon, Nürnberg hätte sich in einen Rausch gespielt. Mit Rausch (Friedel) verbindet sich einer der bittersten Abstiege der ruhmreichen Geschichte, insofern freut diese Einschätzung doppelt, auch wenn ich an diesem Abend nicht einmal vor dem Bildschirm dabei sein konnte.
Es ist die besondere Qualität der Nürnberger unter Hecking und Bader und dem angenehm zurückhaltenden Präsidium, auch bei längeren Durststrecken nicht in Panik oder Larmoyanz zu verfallen. Ein Verein, der in seinen wilden Jahren Schalke und Köln locker den Rang an innerer Chaotik ablief, ist realitätstüchtig geworden, und spielt trotzdem keinen Verwaltungsfußball. Die Mannschaft ist immer in der Lage, auch mal gegen einen besser aufgestellten Verein ein richtig gutes Spiel rauszuhauen. Das 3-0 in Leverkusen, das 1-0 gegen Gladbach und jetzt das 4-1 gegen Königsblau. Nachdem am Montag im kicker ein längerer Bericht über Julian Schieber zu finden war, der zögert in Stuttgart seinen Vertrag zu unterschreiben, könnte ein wichtiger Neuzugang demnächst vielleicht schon vermeldet werden. Schieber wäre genau der spielintelligente Brecher, den Hecking für seine Dreieroffensive bräuchte. Wollscheids Abgang ist mit Nilsson, Maroh und Klose bereits präventiv abgefedert worden. Zumindest die durchwachsene Heimbilanz mit bisher nur sechs Siegen sollte in der nächsten Saison ausgebaut werden. Man muss ja nicht gleich wieder Pokalsieger werden.