Lieber Platzverweise als altersweise

Acht Platzverweise an einem Spieltag, was lernst uns das? Vielleicht haben die Schiri-Obleute ja nach Baumjohanns nicht mit Rot geahndetem Wischer bei Nürnberg gegen Hertha schnell ein Brandbrieflein an die Kollegen draußen auf dem Spielfelde geschickt, mit dem Tenor: Erst zücken, dann Fragen stellen.

Der Krösus war bei Hoffenheim gegen Freiburg Tobias Stieler mit zweimal Rot, einmal Gelb-Rot und einem Innenraumverweis für Freiburgs Trainer Streich als Sahnehäubchen. Der Platzverweis gegen Coquelin war glatt falsch, den Platzverweis von Streich hat er damit induziert. Streich schimpfte zwar emotional wie immer, ich habe aber schon Trainer gesehen, die sich schlimmer aufgeführt haben und im Innenraum bleiben durften. Außerdem war Streichs Ansprechpartner der Vierte Mann, der unter anderem dafür da ist, dass Trainer Dampf ablassen. Zusammen mit der nicht gegebenen Roten Karte gegen Sorg bekam Stieler im kicker die Note 4,5.  Auch Schiedsrichter Welz in Augsburg gegen Stuttgart bekam die Note 4,5. Anstelle des überzogenen Rot für Traoré hätte er Verhaegh vom Platz stellen müssen. Note 4 gab es für Dankert in Hannover gegen Schalke. Dessen drei Platzverweise gegen Höwedes, Huszti und Fuchs waren allesamt vertretbar, nur ein rotwürdiges Foul von Hoogland gegen Diouf hatte er übersehen.  Eine 2,5 bekam Kinhöfer bei Mainz gegen Wolfsburg, der nicht nur mit Gelb-Rot gegen Luiz Gustavo richtig lag.

Beim genauen Hinsehen ist nicht so sehr die Kartenflut das Problem, nur zwei der acht Platzverweise (Coquelin, Traoré) waren falsch, sondern die wackelige und widersprüchliche Spielführung. Stieler in Sinsheim hatte zusätzlich das Problem, dass er in der 11. Minute, also zu einem sehr frühen Zeitpunkt korrekterweise Rot gegen Salihovic zeigen musste. Ab da war jeder Zweikampf aus Sicht der Zuschauer eines Platzverweises würdig.

Eine ähnliche Konstellation bot das denkwürdige WM-Achtelfinale Portugal – Holland 2006, auch als „Schlacht von Nürnberg“ bezeichnet. Von Anfang an ging es knüppelhart zur Sache, nach einem brutalen Foul musste Ronaldo ausgewechselt werden. Ende der ersten Halbzeit gab es Gelb-Rot gegen Costinha. In Halbzeit zwei folgten eine weitere Gelb-Rote und zwei Rote Karten, dazu kamen acht Gelbe Karten. Auch hier war es die unklare Linie, die das Spiel aus dem Ruder laufen ließ: Schiedsrichter Ivanov „hatte das Spiel durch falsches Strafmaß nicht im Griff“, schrieb der kicker.

Trainer in der Pressekonferenz sagen über harte Platzverweisen manchmal gerne: Wenn man das pfeift, stehen am Ende fünf Mann auf dem Platz. Nach diesem Spieltag bin ich geneigt zu sagen: Na und? Dem Spielniveau tat die Kartenflut keinen Abbruch: Hoffenheim – Freiburg bekam die Note 1, Hannover – Schalke sowie Mainz – Wolfsburg eine 2,5, Augsburg – Stuttgart immerhin eine 3. Für die beiden letzten Teams war es die beste Saisonleistung.

Bin gespannt, was bei den Roten Karten als Strafmaß rauskommt. Bei Salihovic war es die vierte Rote Karte und es war eine klare Tätlichkeit. Dass er vorher geschubst wurde, lag daran, dass er den Ball nicht herausrückte. Er hat die Rudelbildung provoziert.

In den Spielen ohne Platzverweis schnitten die Schiedsrichter so ab: Zwayer (Dortmund – Bremen) Note 2, keine Karte, kein Elfer. Stark (Braunschweig – Frankfurt) Note 2, drei Gelbe Karten, kein Elfer. Fritz (Hertha – HSV) Note 3, fünf Gelbe Karten, kein Elfer. Brych (Leverkusen – Gladbach) Note 5, falscher Elfmeter gegen Gladbach, eine Gelbe Karte. Nach den beiden in München bereits der dritte Elfer im dritten Spiel, über den sich streiten läßt. Die Note 6 bekam Schiedsrichter Dingert im Spiel Bayern gegen Nürnberg, der Pinolas Rempler gegen Mandzukic nicht als Elfmeter pfiff, dafür vor dem Elfmeter für Bayern ein Handspiel von Nilsson gesehen haben wollte, wo keines war. Auch ein rotwürdiges Foul von Mandzukic an Dabanli hatte er übersehen. Wenigstens die Gelbe Karte für Ribery fürs Trikot ausziehen war korrekt.

Fazit: Viele Platzverweise machen weder die Schiedsrichterleistung noch ein Spiel per se schlechter. Die Referees sollten mit der Mindestzahl von sieben Spielern pro Team noch offensiver umgehen. Fehlentscheidungen wie der Platzverweis gegen Coquelin werden dadurch nicht besser, aber die Schubser, Treter, Schläger und Rudelbildner bekommen dadurch längere Denkpausen.

 

Hertha und der HSV – Alte Dame trifft Dino

So langsam finde ich Gefallen an dem Verein der wie ein Dampfer heißt. Das liegt nicht nur an Spielern wie Friedrich, der mit seiner Vertragsverlängerung eindrucksvoll meine Theorie des Authochthonen unterstützt. Einen besseren Käptn hatte Hertha seit Michael Preetz nicht mehr. Auch ein Zeichen dafür, dass es langfristig besser wird mit der alten Dame. Jetzt hat Friedrich mit Simunic zusammen in Babelsberg sogar ein paar als Hertha-Fans kostümierte Rassisten zur Ordnung gerufen. Schade, dass der Rassismus in den Stadien nach wie vor klein geredet wird. Da ist dann meist von „ein paar Idioten“ die Rede. Als ob die „Urwaldrufe“ und der Antisemitismus nicht ihren festen Platz im Schmähprogramm haben. Früher, bei Hertha gegen St. Pauli, da grüßten die Berliner stets mit „Arbeitslose, Arbeitslose“, was in der Paulikurve mit „Steuerzahler, Steuerzahler“ quittiert wurde. In der Krise gibt es keinen Platz mehr für solches Brauchtum. Soll man die Fans der Frankfurter Eintracht als „Bankrotteure, Bankrotteure“ beschimpfen, nur weil ihr Stadion nach einem Geldinstitut heißt? Und darf die Erwiderung lauten: „Eure Armut kotzt uns ans.“? Bei Barcelona wohl eher: „Eure Anmut macht uns an.“ Herthas bester Mann ist Lucien Favre. Er ist kein Ballokrat wie Sammer oder Löw, kommt nicht aus dem Bild-und-Bayern-Sumpf wie Klinsmann oder Hitzfeld, ist nicht telephil wie Klopp oder Meyer, lacht bei dummen Journalistenfragen manchmal einfach los, was ein geradezu zidanehaftes Lächeln auf sein superseriöses Gesicht zaubert. Er hat dafür gesorgt, dass La Marco, die Diva aller Strafraumdiven so klein mit Haarband über den Platz trabt. Wem das gelingt, der kann auch Meister werden.

Kürzlich wurde der HSV als „ewiger Ausbildungsverein“ tituliert. Seit der Saison mit den fünf B – Barbarez, Beinlich, Bouhlarouz und van Buyten gingen, der Beinaheabstieg kam – hat sich die Transferpolitik der Hamburger merklich verbessert. Der Abgang von de Jong wird sich nicht weiter negativ auswirken. Mit Jarolim haben sie einen sehr guten Defensivmann, Jol arbeitet unablässig am Einbau neuer großer Talente (Aogo, Guerrero). Mit dem Tausch Petric gegen Zidan ist dem HSV der Coup des Jahres gelungen. Ausbilden muss man einen Spieler, der auf Anhieb wichtige Tore am Fließband schießt, nicht mehr, nur taktisch einbinden. Und dann für das Zehnfache verkaufen. Warum Olic zu den Bayern geht, ist mir absolut schleierhaft. Nachdem Ribéry die zweite Reihe auf der ganzen Breite des Platzes für sich beansprucht, würde ein hängender Stürmer ihm nur auf den Füßen stehen. Der HSV hat sich klugerweise offiziell kein Zeitlimit gesetzt für das Erreichen höchster Weihen. Die sportliche Führung ist gerade beeindruckend bestätigt worden. Ich finde, die basisdemokratischen Ansätze wie bei Fortuna Köln sehr interessant sind, aber ausgerechnet dem BL-Gründungsmitglied schlechtes Management vorzuwerfen, wirkt ein wenig übertrieben. So viel kann man beim HSV nicht falsch gemacht haben.

Pokalgeflüster: +++ bis auf Hoffenheim, Dortmund und Hertha sind die ersten acht der Liga unter sich +++ Wetten, dass das ZDF Bayern gegen Wehen überträgt, „damit sich auch einmal ein Zweitligist vor großem Fernsehpublikum präsentieren kann.“ +++ Leverkusen und Bremen bärenstark, auch die Schalker besser als ihre Presse während der Winterpause +++