Saisonvorschau: Europa kann sehr kalt sein – Freiburg und Frankfurt

Eine meiner privaten Faustregeln lautet: Eine Mannschaft, die ihre drei wichtigsten Spieler verliert, steigt ab. Sie passte perfekt auf Hertha 2009 (Simunic, Pantelic, Voronin) und auf Nürnberg 2007 (Schäfer, Schroth, Polak), sowie beinahe auf Leverkusen 2002. Aber die verloren ja nur die zwei besten – Ballack und Ze Roberto – an die Bayern. Jetzt hat Freiburg Rosenthal, Flum, Kruse, Makiadi und Caligiuri, also die Hälfte seiner Feldspieler aus dem engeren Kader verloren und hat auch noch die Europa League an der Backe. Das läßt nichts Gutes erahnen, gäbe es da nicht Christian Streich, den Luis Trenker von der Dreisam. Was dem Trenker ein Berg, ist dem Streich ein Nachwuchsspieler. Berge, wenn sie sich  erst einmal aufgefältelt haben, wachsen nicht mehr nennenswert. Unter der kundigen Anleitung von Streich jedoch reifen und wachsen und entwickeln sich Spieler, die außerhalb Freiburgs keiner je gekannt hat, mit pfifferlingschen Wachstumsraten zu Nationalspielern und Leistungsträgern. Mit rollenden Augen teilt Streich die Begeisterung über seine Spieler und das Spiel mit, ebenso wie er verbale Watschen austeilt, wenn ihm Journalisten blöde Fragen stellen, also mehrmals täglich. Streich ist wie ein alter Blueser aus dem Mississippi-Delta, der den Glauben an die kleinen Terzen und Septimen noch nicht verloren hat, obwohl das Business um ihnm herum durchkommerzialisiert ist bis zum letzten Deoroller. Dieser Glaube, die Transferkünste des Managerduos Hartenbach und Saier und die Nervenstärke der Vereinsführung kann Berge versetzen. Freiburg hält die Klasse, wenn auch nicht im einstelligen Bereich. Das gallische Dorf des Weltfußballs bleibt erstklassig. Einen etwas muntereren Auftritt in der Europa League als die beiden völlig vermurkelten UEFA-Cup-Teilnahmen gibt es als Gutsel obendrauf.

Frankfurt hat sich Flum und Rosenthal von Freiburg gemopst und müsste jetzt rein rechnerisch locker an Freiburg vorbeiziehen. Das kann durchaus passieren, bedeutet aber lange noch nicht Platz fünf. Für Freiburg ist ein europäischer Wettbewerb ein schönes Zubrot – endlich mal was von der Welt sehen und vielleicht sogar mal in Metz spielen -, für Frankfurt entspricht die Europa League dem klammheimlichen eigenen Anspruch. Und dieser Anspruch kann lähmend und belastend sein, vor allem wenn man nach dem kniffligen Auftaktprogramm (Hertha – Bayern – braunschweig – Dortmund) nicht so glänzend dasteht wie  zu Beginn der letzten Saison. Die launische Diva und ihr launiger Trainer Veh sind von ihren Stimmungslagen abhängig. Wenn die Laune in den Keller geht, geht es auch in der Tabelle nach unten und umgekehrt. Letztes Jahr trug die Woge der Begeisterung durch die ganze Saison. Diesmal werden die Erfolge langsamer kommen, wenn sie denn kommen. Die Mannschaft hat alle Spieler behalten und die richtige Entscheidung getroffen, Bendtner nicht zu verpflichten, das sollte wenigstes eine Saison ohne Abstiegssorgen ermöglichen.

Hertha, still und leise auf Platz Zwei

Das Tor von Luca Toni nicht zu geben, war eine einsame Entscheidung von Schiri Kircher. Ich habe jedenfalls kein Abseits gesehen, nur einen festen Schubser gegen den Bauch von Reinhardt, kurz vor dem Torschuß, aber da war die Fahne schon längt oben. In jedem Fall war der Sieg des HSV verdient, ganz an die Leine legen lassen sich die Bayern über 90 Minuten nicht. Und wer einen Rost auf der Linie hat, darf auf den Flügeln auch mal ein bißchen schlampen. Ihre Einfallslosigkeit im Spielaufbau kompensierten die Münchner mit großem Einsatz in Halbzeit zwei. Die Niederlage erinnert an das 1:0 in Hannover von heute, nur hat Schalke deutlich weniger Punkte auf dem Konto als die Bayern. Hannover, Frankfurt, Cottbus und Gladbach spielten stärker als in der Hinrunde, trotzdem standen drei Teams mit leeren Händen da. Bei Gladbach hatte ich das Gefühl, sie hätten auch in drei Stunden kein Tor geschossen, Friend ist jedenfalls kein Knipser. Cottbus schlug sich wacker und hatte bei Sanogos 2:0 auch ein bißchen Pech. Nicht jeder Schiri gibt das Tor. Jedenfalls zeigten der Leihbremer und Hildebrand, warum sie verpflichtet wurden. Und Enke, warum er vor seiner Verletzung die Nummer eins war. Bin gespannt, wie lange das „knallharte Leistungsprinip“ beim DFB vorhält, wenn Enke weiter so spielt. Dortmund gelang es wieder nicht, zu Hause zu gewinnen und Leverkusen ist nach dieser Leistung – trotz des erfreulichen Transfers von Kroos – aus meiner Sicht aus dem Meisterschaftsrennen ausgeschieden. Wer solche Spiele nicht gewinnt, der wird nicht oben stehen am Ende. In Köln erfüllte sich Radu den Herzenswunsch, Wolfsburgs Trainer Magath ein Tor einzuschenken. Überhaupt sprachen die Leistungen der Neuverpflichtungen eher für gezieltes Agieren mit Augenmaß und nicht so sehr für Winterpanikkäufe. Spieler des Tages ist Doppeltorschütze Marco Pantelic von Hertha, der den siebten Heimsieg in Folge sicher stellte. Und die Bayern, Dortmund und Schalke müssen noch nach Berlin. Ohlala, würde Lucien Favre sagen, genießen und schweigen.

Gestern zu HSV – Bayern zum ersten Mal einen Liveblog auf Twitter geschrieben. Am Anfang kam ich kaum hinterher, aber in der zweiten Halbzeit ging es recht gut. Ich frage mich, was schwieriger ist: ein Spiel, in dem sehr viel passiert, oder ein Spiel in dem gar nichts passiert.  Im Nachgang dann allerlei Jubel- und Trauerge*zwitscher*, sowie die Aufforderung eines HSV-Unterstützers, zum Bahnhof zu gehen, um die St-Pauli Fans aus Osnabrück in Empfang zu nehmen. Eine Tracht Prügel für den Lokalrivalen als Nachtisch? Hoffentlich nicht.

Hertha und der HSV – Alte Dame trifft Dino

So langsam finde ich Gefallen an dem Verein der wie ein Dampfer heißt. Das liegt nicht nur an Spielern wie Friedrich, der mit seiner Vertragsverlängerung eindrucksvoll meine Theorie des Authochthonen unterstützt. Einen besseren Käptn hatte Hertha seit Michael Preetz nicht mehr. Auch ein Zeichen dafür, dass es langfristig besser wird mit der alten Dame. Jetzt hat Friedrich mit Simunic zusammen in Babelsberg sogar ein paar als Hertha-Fans kostümierte Rassisten zur Ordnung gerufen. Schade, dass der Rassismus in den Stadien nach wie vor klein geredet wird. Da ist dann meist von „ein paar Idioten“ die Rede. Als ob die „Urwaldrufe“ und der Antisemitismus nicht ihren festen Platz im Schmähprogramm haben. Früher, bei Hertha gegen St. Pauli, da grüßten die Berliner stets mit „Arbeitslose, Arbeitslose“, was in der Paulikurve mit „Steuerzahler, Steuerzahler“ quittiert wurde. In der Krise gibt es keinen Platz mehr für solches Brauchtum. Soll man die Fans der Frankfurter Eintracht als „Bankrotteure, Bankrotteure“ beschimpfen, nur weil ihr Stadion nach einem Geldinstitut heißt? Und darf die Erwiderung lauten: „Eure Armut kotzt uns ans.“? Bei Barcelona wohl eher: „Eure Anmut macht uns an.“ Herthas bester Mann ist Lucien Favre. Er ist kein Ballokrat wie Sammer oder Löw, kommt nicht aus dem Bild-und-Bayern-Sumpf wie Klinsmann oder Hitzfeld, ist nicht telephil wie Klopp oder Meyer, lacht bei dummen Journalistenfragen manchmal einfach los, was ein geradezu zidanehaftes Lächeln auf sein superseriöses Gesicht zaubert. Er hat dafür gesorgt, dass La Marco, die Diva aller Strafraumdiven so klein mit Haarband über den Platz trabt. Wem das gelingt, der kann auch Meister werden.

Kürzlich wurde der HSV als „ewiger Ausbildungsverein“ tituliert. Seit der Saison mit den fünf B – Barbarez, Beinlich, Bouhlarouz und van Buyten gingen, der Beinaheabstieg kam – hat sich die Transferpolitik der Hamburger merklich verbessert. Der Abgang von de Jong wird sich nicht weiter negativ auswirken. Mit Jarolim haben sie einen sehr guten Defensivmann, Jol arbeitet unablässig am Einbau neuer großer Talente (Aogo, Guerrero). Mit dem Tausch Petric gegen Zidan ist dem HSV der Coup des Jahres gelungen. Ausbilden muss man einen Spieler, der auf Anhieb wichtige Tore am Fließband schießt, nicht mehr, nur taktisch einbinden. Und dann für das Zehnfache verkaufen. Warum Olic zu den Bayern geht, ist mir absolut schleierhaft. Nachdem Ribéry die zweite Reihe auf der ganzen Breite des Platzes für sich beansprucht, würde ein hängender Stürmer ihm nur auf den Füßen stehen. Der HSV hat sich klugerweise offiziell kein Zeitlimit gesetzt für das Erreichen höchster Weihen. Die sportliche Führung ist gerade beeindruckend bestätigt worden. Ich finde, die basisdemokratischen Ansätze wie bei Fortuna Köln sehr interessant sind, aber ausgerechnet dem BL-Gründungsmitglied schlechtes Management vorzuwerfen, wirkt ein wenig übertrieben. So viel kann man beim HSV nicht falsch gemacht haben.

Pokalgeflüster: +++ bis auf Hoffenheim, Dortmund und Hertha sind die ersten acht der Liga unter sich +++ Wetten, dass das ZDF Bayern gegen Wehen überträgt, „damit sich auch einmal ein Zweitligist vor großem Fernsehpublikum präsentieren kann.“ +++ Leverkusen und Bremen bärenstark, auch die Schalker besser als ihre Presse während der Winterpause +++