Patriarchen, frisch geschlüpft

Im Zusammenhang mit dem Rückzug von Michael A. Roth war neben dem schon besprochenen „Napoleon“ ebenso häufig vom „letzten Patriarchen“ der Bundesliga die Rede. Doch hat sich dieses Modell wirklich überlebt? Welche Nachwuchshoffnungen haben die deutschen Patriarchenleistungszentren in den letzten Jahren hervorgebracht?

Da haben wir an erster Stelle Martin Kind, lange Jahre als Jahrhundertgenie auf dieser Schlüsselposititon gehandelt. Der Chef von Hannover 96 ist neun Jahre jünger als Roth und hat damit seine besten Jahre als Patriarch vor sich. Was zu denken gibt, ist sein in letzter Zeit übertrieben zurückhaltender Führungsstil. Wäre er Dietmar Beiersdorfer, er wäre schon längst weitergereicht worden. Stattdessen hat er nach einem verkorksten Jahr nicht nur an Trainer Hecking festgehalten, sondern mit Schmadtke auch noch einen mutmaßlich kongenialen Manager verpflichtet. Interessanterweise tauchte Hannover 96 bei der kicker-Saisonumfrage bei den Vereinen auf, die am meisten enttäuscht hatten, was für die langfristig hohen Ambitionen spricht. Auch für die neue Saison orientiert sich Hannover nach oben. Fazit: Kind ist leider nicht immer in der Lage, sein immenses Patriarchenpotenzial abzurufen. Die Zusammenarbeit mit ausgewiesenen Profis nimmt dem Alleinherrschertum den größten Teil seines archaischen Charmes.  Könnte sein, dass den Roten in der neuen Spielzeit dadurch endlich der verdiente Sprung nach vorne gelingt.

Das Comeback-Kid unter den Patriarchen ist sicherlich Achim Stocker, der mit dem Sportclub Freiburg bereits zum vierten Mal in die Bundesliga aufgestiegen ist. Stocker ist 78 Tage älter als Michael A. Roth und herrscht in Freiburg seit 1972, also nicht ganz so lange wie Ghaddafi in Libyen (1969). Zu seinen einsamsten und besten Entscheidungen gehört der Verzicht auf eine weitere Zusammenarbeit mit Volker Finke im Jahr 2007 und die Wahl von Robin Dutt zum neuen Trainer. Böswillige Zeitgenossen halten die Achim-Stocker-Stiftung für schlecht kaschierten Personenkult, tatsächlich zeichnet sie für die Nachwuchsarbeit beim Sportclub verantwortlich. Fazit: Stocker ist jederzeit in der Lage, als Souverän dezisionistisch dazwischen zu hauen, wenn es sein muss. Anders als der Glamorboy Roth macht er sich aber viel zu rar, um eventhungrigen Fachjournalisten ausreichend Weidegründe zu liefern.

Seit gestern muss auch Bernd Hoffmann als Patriarchen-Rookie genannt werden. Der Vorstandsvorsitzende des HSV verabschiedete sich von Dietmar Beiersdorfer und hat nun den Platz, den er braucht, um sein gesamtes Fachwissen in die Apothekerwaagschale zu werfen. Mit einem bisher nicht übermäßig erfolgreichen Trainer, ohne sportliche Leitung, ohne Ersatz für Olic gehen die Hamburger in die neue Saison, in der sie mindestens zweimal gegen Werder Bremen antreten müssen. Wichtigste strategische Entscheidung von Hoffmann ist bis jetzt die geplante Abschaffung der Ewigen Bundesliga Uhr, die die Mitgliedschaft des HSV in der Bundesliga seit 1963 anzeigt. Die Erstklassigkeit sei so selbstverständlich, dass man nicht extra darauf eingehen müsse, so Hoffmanns Begründung. Ob er stattdessen eine Uhr aufstellt, die anzeigt, seit wann der HSV nichts gewonnen hat, ist nicht bekannt. Spiegel-Online titelte am Montag zum Konflikt: „HSV steht vor der Spaltung“. Wie das Premium-News-Portal berichtet, wollen das H und das V in Zukunft getrennte Wege gehen, da es an einer gemeinsamen Vertrauensbasis mangelt. Während das H eine strategische Zusammenarbeit mit Jahn Hregensburg anstrebt, will das V nach Wolfsburg, „falls das etatmäßige V dort mal krank wird.“ Über die Zukunft des S gibt es widersprüchliche Meldungen. Angeblich hat es bereits einen Vorvertrag, um den FC Underland in der Spitze zu verstärken. Fazit: Der für einen Patriarchen immer noch sehr junge Hoffmann hat das Zeug, den Dino ins Mittelfeld der Liga zu führen und dabei dreistellige Millionenüberschüsse bei den Transfers zu erwirtschaften.  Das Modell mit einem Aufsichtsrat als Politbüro kann locker vierzig Jahre halten.

Katongo, verzweifelt gesucht

Bei all den Mannschaften des Tages, Men of the Matches und Superlativen des letzten Spieltags taucht Christopher Katongo von Arminia Bielefeld erstaunlicherweise nicht auf. Selbst der kicker ignoriert ihn. Özil vom Verlierer Bremen hat die Note 2,5, Katongo vom Sieger Bielefeld die 2. Özil ist in der Elf des Tages, Katongo nicht. Dabei war er spielentscheidend. Vor dem Einsnull der öffnende Pass auf rechts, der die Bremer Abwehr ins Taumeln brachte. Vor dem 2-1 luchste er Frings den Ball ab. Dazu gehört in diesen Tagen nicht viel, die Werder-Krise ist auch eine Frings-Krise. Aber Katongos perfekter Pass aus der Drehung auf Wichniarek war überragend. Als Bremer hätte er es in die Elf des Tages geschafft. Einige hielten Katongo nach der Hinrunde schon für einen Fehleinkauf, dabei zeigte er am Sonntag eine hervorragende Spielübersicht und einen Instinkt, der ihn bewog, genau im richtigen Moment auf Frings drauf zu gehen.

Die beiden Sonntagsspiele waren erfreulich gut, vielleicht sollte ich meine Abstiegsprognose noch korrigieren. Bochum bleibt, der KSC geht. Die Chancenverwertung der Badener ist mieser als die von Leverkusen und Schalke zusammen, alles wirkt fleißig, aber planlos. Klimowicz ist genau der Spieler, der Bochum gefehlt hat, auch so ein Unterschätzter.  Ort des Geschehens war die Bluesgarage, ein entdeckenswertes Etablissement Monumenten, Ecke Hochkirchstraße, schräg gegenüber von der Scheinbar. Am Samstag wurde dort Premiere angestöpselt, am Sonntag dann gleich Fußball. So soll das sein. Trotzdem kamen Leute vorbei, die lieber Handball-WM kucken wollten. Ich befürworte schon seit langem die Einrichtung von Handball-, Rollhockey- und Synchronschwimmkneipen, um dort in aller Ruhe der persönlichen Obsession zu frönen, meist tut es schon eine gemütliche Telefonzelle. Auch wenn die Welt des Rollhockeys schon immer einen ungeheuren Reiz auf mich ausgeübt hat, einen Bundesligaklassiker wie Bremen gegen Bielefeld würde ich dafür nicht eintauschen. Wann geht schon mal ein Rollhockeyspiel 8-1 aus? Demnächst soll es in der Bluesgarage zweimal Premiere geben, einmal für Hertha, einmal für alles andere, also so wie früher im Malheur Gneisenau, Ecke Solms, das leider nicht mehr ist. In der Bluesgarage gibt es außerdem den Super Bowl und andere Americana, und immer mittwochs Live-Musik.  Über Bier und Bouletten kann ich nichts sagen, aber der Tee wird frisch gezapft serviert. Der Wirt ist Freiburgfan, und darf sich mindestens bis zum kommenden Wochenende an der Tabellenführung, am Ende vielleicht gar über das Meisterschälchen freuen. Fehlt nur noch der passende Spoiler dazu. AuchVolker Finke wird Platz eins bei Red Urawa Diamonds sicherlich still vergnügt zur Kenntnis nehmen. Auf der englischen Website des Vereins wird die Stadionkapazität mit 21500 und 63700 angegeben. Einmal, wenn nur Sumoringer da sind, ansonsten für allgemeines Publikum, sag ich jetzt einfach mal so. Ich korrigiere, es sind zwei Stadien. Hätte aber doch sein können.