Der Dreck, das Glück und der Tod

Westernhagen singt „Gold findt man bekanntlich im Dreck, und Straßen sind aus Dreck gebaut.“ Im politisch korrektesten Tatort seit der Bergpredigt kommt Lena „Großaufnahme“ Odenthal in die Wohnsiedlung , um die Eltern der toten Fußballspielerin zu vernehmen. Es regnet, richtiges Scheiß, also dem-Fritz-sein-Wedder. Und da laufen sie dann durch den Schlamm, die Gören, welpenhaft alle auf den Ball, Scheiß auf die flache Vier. Orgelpfeifen im Nieselregen. Eins der Kinder trägt einen roten Mantel wie der Zwerg in Wenn die Gondeln Trauer tragen. Ja, okay, es heißt kleinwüchsig, aber der Killer in Venedig im Jahr der WM, als Willy Brandt nicht mehr Bundeskanzler war, das war ein Zwerg. Dieser Platz in der pfälzischen Bronx ist ohne ein einziges Hälmchen, dafür mit Pfützen, dem obligatorischen knastähnlichen Zaun und liegt in einer Wohnöde, durch die die Bewohner der pfälzischen Bronx in den tiefergelegten Mantas oder Corsas über die Autobahn auf Stelzen brettern, um ins Werk zu gelangen oder zur HartzIV-Beratung. Da spielen sie, die Käfigfußballer, die Özils und Bajramajs von übermorgen und trotzen dem Wetter, der sozialen Stratifikation und dem manchmal etwas lehrbuchhaften Drehbuch. Denn der Film will Gutes tun, man kann mit ihm den Frauen-Fußball oder den Islam näher kennen lernen. Für sprachlos machende poetische dreißig Sekunden ist das dann völlig unwichtig, denn sogar im Öffentlich-rechtlichen sagt ein Bild manchmal mehr als tausend Worte. Natürlich dürfen dann auch Kopper, der Platzwart und die Trainerin ihr Sprüchlein aufsagen, was an Fußball so toll ist. Aber der tiefere philosophische Gehalt dieses Sports besteht wirklich nur darin, sich bei plus zwei Grad im Eisregen von guten Freunden die Bänder kaputt treten zu lassen. Mehr ist es nicht. Insofern reimt sich Dreck dann auch auf Glück.

Trotz der volkspädagogischen Botschaft, zu der auch Jogi Löw arm an Mimik, aber reich an Betroffenheit sein Quäntchen beiträgt, obwohl Quanten von Haus aus schon recht klein sind, ist es eine der besseren Folgen. Das Drehbuch unter vermutlich tätiger Mithilfe von Ulrike Folkerts erspart uns das lesbische Eifersuchtsdrama, und weil Tatort kein Derrick ist, ist es auch nicht der alerte Manager, der den Verein groß rausbringen will, stattdessen aber die gute Würstchenseele auf kleiner Flamme röstet, dieser Schuft im Sakko, der seine Mutter für 25 Millionen ohne mit der Wimper zu zucken an die Bayern verkaufen würde.

Natürlich kann der Mörder nicht der muslimische Vater oder die muslimische Mutter sein, die dann natürlich die Mörderin wäre, denn es heißt ja auch nicht Zwerg, sondern kleinwüchsig.  Aber immerhin, Kopper pöbelt ein bißchen leitkulturmäßig herum, der Vater klaut die Leiche, die Mutter spricht akzentfrei deutsch, vermutlich aus Hannover eingeheiratet, also mit Migrationshintergrund doppelt diskriminiert. Außerdem sprechen im Tatort immer nur die Bürokräfte Dialekt. Also keine Mustermigranten, sondern Muslime mit Ecken und Kanten, und weil’s nach drei Ecken einen Elfer gibt, versenkt Lena Odenthal denselben gegen ihren WG-Mitbewohner im anarchisch-spontanen Spiel auf dem Bürgersteig.

Der Mörder ist diesmal der Gärtner, also der Platzwart. Yo Mey! hätte der Franz bestimmt gesagt, denn das passt ja immer. Und diese vermutlich zufällige Wendung auf Postone – Blut und Boden („Der Verein ist meine Familie“) Hüter des Heiligen Rasens vernichtet Subjekt im fälschlichen Glauben, damit den Mehrwert im Kapitalismus vernichten zu können – ist ein weiterer seltener Moment lichter Erkenntnis. Eine marxistische Antisemitismustheorie auf den Tod einer muslimischen Migrantin anzuwenden, das ist fast so dialektisch wie der Doppelpaß von Netzer und Müller beim 5-1 gegen die Schweiz. Die Seele des Vereins wird zum Mörder, weil der Kapitalismus keine Seele hat. So brutal kann Fußball sein.

Fieberträume schwächelnder Mittelfeldmittelgewichte

Ein gewisser Oskar Beck,  als Sportjournalist vor allem mit dem VfB Stuttgart beschäftigt und in der Stuttgarter Zeitung präsent, behauptet in Die Welt vom 5.12.: Die Bayern beherrschen auch in der Krise die Liga. Inhalt des Artikels: Die Bayern sind so übermächtig, dass ihr Absacken wichtiger ist als Dortmunds und Mainzens Aufstieg. Das war schon immer so, das wird immer so bleiben. Beweis:

„Schon in den 70ern ließ Präsident Willi O. Hoffmann, besser bekannt als „Champagner-Willi“, anlässlich eines Kampfes von Muhammad Ali in seiner Villa einen Boxring aufbauen und stellte im Rahmen einer rauschenden Party vier Fernseher hinein.“

Fürwahr einer der definierenden Momente des deutschen Sports jener Dekade. Aber nichts im Vergleich zu Hoenbold dem Verwurster, der im Jahr 1312 sein Pemmikan an der Querlatte trocknete.

Meine Gegenthese zu diesem untauglichen Versuch einer Fiktion der Bundesliga als Bayernliga: Die Bayern beherrschen auch in der Krise die Journalisten, die sich ihnen unterwerfen. Denn wer über die Bayern schreibt, muss nicht unbedingt viel vom Fußball verstehen und findet doch immer sein Thema. Alles easy-peasy, bussi-stussi. Dass nach vierzig Jahren Dauerjodelbeschallung auf allen Kanälen Vereine wie Mainz, Freiburg, Union Berlin oder Dynamo Dresden überhaupt noch wahrgenommen werden, ist Beweis für die Eigenwilligkeit und Eigenständigkeit, Liebe und Bockigkeit der Fans.

Ich mache jetzt einen kleinen Selbstversuch. Ich tu jetzt einfach mal so, als seien die Bayern schon abgestiegen. Und obwohl Franz Beckenbauer, Stefan Effenberg, Mehmet Scholl und Oliver Kahn in pluralistischer Vielfalt die Meinungshoheit zusammen mit Marcel Reif, Johannes B. Kerner und Reinhold Beckmann unter sich aufteilen, schreibe ich bis zum 24. Spieltag, der scheibchenweise ungefähr am 26. Februar 2011 stattfindet, also bis zum Spiel des  glamourös malochenden BVB in München, gar nichts mehr über den vom Absterben bedrohten Säbener Säbelzahnpapiertiger. Und dann werden wir in einem utopisch aufblitzenden Moment erahnen, wie schön das Fußball ist unser Leben sein kann.

Schwabenpfeile reloaded

Horst Heldt dürfte sehr bald ein begehrter Mann werden. Wer seinem Team acht Siege in Folge befiehlt und daraufhin sechs Siege in Folge erhält, muss eine besondere Gabe besitzen. Derartige schamanische Fähigkeiten kennt man hierzulande eigentlich nur von Beckenbauer. Und Bochum hat verloren, das passt sehr gut in die zerklüftete Abstiegslandschaft. Am Samstag ein klitzekleiner Sieg gegen Dortmund, und es sähe sehr gut aus für den Club. Aber der BVB ist die Mutter aller Angstgegner, das waren meist sehr unerfreuliche Spiele für die Clubberer.