Einiges spricht dafür. Zum zweiten Mal in kurzer Zeit hat sich der HSV einem Konkurrenten taktisch deutlich überlegen gezeigt. Ausserdem hat er schon reichlich Rückstände gedreht in dieser Saison, gleich am Anfang bei den Bayern oder auch im Hinspiel gegen Leverkusen. Für mich ist diese Fähigkeit entscheidend auf dem Weg zur Meisterschaft unter Wettbewerbsbedingungen. Soll heissen, wenn nicht die ganze Liga wie das Kaninchen auf die Bayern starrt. Der HSV hat den Verlust von van der Vaart und de Jong sowie zahlreiche Verletzungen gut weggesteckt und wirkt sehr kompakt. Das Spiel gegen Wolfsburg wird die Probe aufs Exempel.
Glücklicherweise sind die Zeiten totaler Unterwürfigkeit gegen die Bayern vorbei. Es war sehr feinsinnig von Christoph Daum, der den Bayern „keine Niederlage mehr bis Saisonende“ gewüscht hat. Mit dreizehn Unentschieden hätten die Bayern 51 Punkte, das reicht locker für Platz acht, vielleicht ja sogar sechs. Wegen Hoffenheim merkt keiner so richtig, was für eine klasse Saison der 1. FC Köln spielt. Ich bin gespannt auf die Saison mit Poldi.
Im Moment haben die Bayern vier Punkte Rückstand und gegen den HSV und Hertha schon verloren. Aus eigener Kraft kommen sie an die beiden nicht mehr ran. Und wandern mit The Next Uri Geller langsam in den Keller? Die Verpflichtung Klinsmanns war auch deswegen rätselhaft, weil er keine Qualifikation spielen musste. Der Faktor Zeit in einer Saison spielt eine nicht unerhebliche Rolle, nervlich wie körperlich. Löw, den ich für einen sehr guten Trainer halte (Klinsmanns Nachfolger bei den Bayern?), sieht gerade, dass eine WM-Quali mehr ist als nur ein Sommermärchen. Es gibt Durchhänger, Konkurrenzkämpfe, Angstgegner und den täglichen Kleinkram, zum Beispiel Spieler, die sich pümktlich zu Testspielen verletzt abmelden. Klinsmann lernt gerade, dass man nicht zwölf Monate lang immer nur den Überflieger geben kann. Andererseits muss man die Bayern verstehen. Im Januar 2008 war klar, dass Hitzfeld nicht verlängern würde. Für die ganz großen Namen (Wenger, Mourinho) sind die Bayern nicht mehr attraktiv genug, und die unbekannten Fachleute wie Jol und Rutten haben keinen Glamourfaktor, auf den man an der Säbener Straße Wert legt. Klinsmanns Verpflichtung war der Versuch, shock and awe in die Bundesliga zu transferieren. Und weil der Boulevard brav Massnahmen gehypt hat, für die Berti Vogts vor zehn Jahren bei Leverusen verspottet wurde und weil Ribery ein Ausnahmespieler ist, hat das auch eine Zeit lang funktioniert. Jetzt wird es langsam eng und die Zahlen sprechen gegen die Bayern. Wer in allen Bundesligaheimspielen mindestens ein Gegentor kassiert, hat in der CL schlechte Karten. Es warten mit Wolfsburg, Hoffenheim, Bremen und vor allem Cottbus noch vier richtig schwere Auswärtsspiele auf die Bayern. Wenn man das Experiment mit Klinsmann gewagt hat, warum rief man dann gleichzeitig den Gewinn der CL als Saisoniel aus?
„Wer in allen Bundesligaheimspielen mindestens ein Gegentor kassiert, hat in der CL schlechte Karten.“
Ach, werden die jetzt wettbewerbsübergreifend angerechnet?
Nein, aber wer gegen Köln, Wolfsburg und Bochum mindestens zwei Heimtore kassiert, dürfte sich gegen Barca und ManU schwer tun. Das ist natürlich nur eine Vermutung, und in Bremen stand bei den Bayern sogar die Null, ganz anders als im Hinspiel. Wer Sporting Lissabon zu Hause 5-0 schlägt, wird zurecht im Viertelfinale stehen. Lissabon hat in der Gruppenphase Basel und Donezk hinter sich gelassen, und sich damit nahezu als Weltklassemannschaft etabliert.