Fieberträume schwächelnder Mittelfeldmittelgewichte

Ein gewisser Oskar Beck,  als Sportjournalist vor allem mit dem VfB Stuttgart beschäftigt und in der Stuttgarter Zeitung präsent, behauptet in Die Welt vom 5.12.: Die Bayern beherrschen auch in der Krise die Liga. Inhalt des Artikels: Die Bayern sind so übermächtig, dass ihr Absacken wichtiger ist als Dortmunds und Mainzens Aufstieg. Das war schon immer so, das wird immer so bleiben. Beweis:

„Schon in den 70ern ließ Präsident Willi O. Hoffmann, besser bekannt als „Champagner-Willi“, anlässlich eines Kampfes von Muhammad Ali in seiner Villa einen Boxring aufbauen und stellte im Rahmen einer rauschenden Party vier Fernseher hinein.“

Fürwahr einer der definierenden Momente des deutschen Sports jener Dekade. Aber nichts im Vergleich zu Hoenbold dem Verwurster, der im Jahr 1312 sein Pemmikan an der Querlatte trocknete.

Meine Gegenthese zu diesem untauglichen Versuch einer Fiktion der Bundesliga als Bayernliga: Die Bayern beherrschen auch in der Krise die Journalisten, die sich ihnen unterwerfen. Denn wer über die Bayern schreibt, muss nicht unbedingt viel vom Fußball verstehen und findet doch immer sein Thema. Alles easy-peasy, bussi-stussi. Dass nach vierzig Jahren Dauerjodelbeschallung auf allen Kanälen Vereine wie Mainz, Freiburg, Union Berlin oder Dynamo Dresden überhaupt noch wahrgenommen werden, ist Beweis für die Eigenwilligkeit und Eigenständigkeit, Liebe und Bockigkeit der Fans.

Ich mache jetzt einen kleinen Selbstversuch. Ich tu jetzt einfach mal so, als seien die Bayern schon abgestiegen. Und obwohl Franz Beckenbauer, Stefan Effenberg, Mehmet Scholl und Oliver Kahn in pluralistischer Vielfalt die Meinungshoheit zusammen mit Marcel Reif, Johannes B. Kerner und Reinhold Beckmann unter sich aufteilen, schreibe ich bis zum 24. Spieltag, der scheibchenweise ungefähr am 26. Februar 2011 stattfindet, also bis zum Spiel des  glamourös malochenden BVB in München, gar nichts mehr über den vom Absterben bedrohten Säbener Säbelzahnpapiertiger. Und dann werden wir in einem utopisch aufblitzenden Moment erahnen, wie schön das Fußball ist unser Leben sein kann.

Was geht ab? – Da geht was.

18 Punkte nach 11 Spieltagen, Lobeshymnen über den eleganten Offensivspiel, eine ausbalancierte Mannschaft, und das alles zwei Punkte und vier Plätze vor den Bayern. Der gemeine Clubberer reibt sich in diesen Wochen freudig-verdutzt die Augen und sieht dem Derby mit hoffnungsfroher Neugier entgegen. Der Club hat jetzt doch eine ganze Serie von brenzligen Situationen, angefangen mit dem Rückständen in Hamburg und Bremen, gut überstanden und wirkt trotz des nominell viel stärkeren Kaders der Bayern als Team gefestigter als van Gaals millionenschwere B-Mannschaft. Mit den Relegationsspielen ist die Mannschaft nervenstark geworden, macht frühe Tore, fällt nach Gegentoren nicht auseinander, kann spielerisch reagieren, hat viele verschiedene Torschützen, sich gut verstärkt, eine solide Defensive, das magische Pokaldreieck Schäfer, Pinola, Wolf in alter Stärke an Bord…die Liste ließe sich fortsetzen.

Wer gesehen hat, wie sich van Buyten austanzen und Butt von den Gladbachern übertölpeln ließ, sieht, dass bei den Bayern der Wurm drin ist. Die vollmundig ausgelobte Siegesserie ist gestoppt, man geht sich gegenseitig auf die Nerven, Dortmund enteilt, Frankfurt und Leverkusen eilen mit, und selbst Mainz hat ist immer noch Zweiter, hat nach den ersten drei Niederlagen immer noch acht Punkte Vorsprung auf die Bayern.

Kann natürlich auch sein, dass sich die Mannen um Schweinsteiger irgendwie zu einem Sieg durchwurtschteln, dass sich der Club zu viel Druck macht, aber diesmal sind die Chancen für eine Überraschung so gut wie seit dem 3-0 nach Hitzfelds Neueinstieg 2007 in Nürnberg nicht mehr. Den letzten Auswärtssieg bei den Bayern gab es 1992. Köpke hielt einen Elfmeter von Effenberg, Zarate und Wück machten die Tore zum 3-1  nach 0-1 Rückstand nach fünf Minuten durch einen Spieler namens Mazinho, eine Art Gomez der frühen Neunziger, und wir skandierten völlig euphorisiert im märzlichen Schneetreiben des Olympiastadions schmutzige Lieder. Zum Beispiel auf die Melodie von Flipper: „Wir singen Bayern, Bayern, Bayern, Zweite Liga, oh ist das schön, euch nie mehr zu sehen…“  Auf ein Neues.

Das war schon viel besser als gegen Barcelona

Aber Inter war in allen wesentlichen Belangen überlegen. Die Szene vor dem 2-0 war so ähnlich wie die in der 8. Minute des Pokalendspiels. Pizarro tanzte van Buyten aus, aber Butt konnte diesen Schuß noch parieren. Milito war dieses Extraquäntchen besser, dass du dann auch noch brauchst, um den Ball rein zu machen.

Oder Robbens einziger sehenswerter Torschuss, beinahe ein Duplikat seines 3-1 in Bremen, aber Julio Cesar war dieses Extraquäntchen besser als Wiese und verhinderte das Tor.

Oder der andere Innenverteidiger Demichelis, der sich vor dem 1-0 düpieren ließ. Die Tore waren keine Zufallsprodukte, Inter war immer im Spiel und nehmen wir an, Müller hätte sein Ding nach der Pause gemacht, es hätte auch 4-1 ausgehen können.

Klar, Ribery war nicht dabei, aber ob der sich nicht genauso fest gefressen hätte in dieser Abwehr wie Robben und Olic. Ich denke schon. Es ist ein schmaler Grat zwischen Robbens diversen You-Tube-Toren in den KO-Runden und dem eigensinnigen Dribbler Robben gestern, der den Moment fürs Abspiel regelmäßig verpaßte.

1999 gegen Manchester United standen Kahn, Matthäus, Jeremies, Effenberg, Zickler und Jancker in der Startelf, insgesamt ein selten ausgesuchter Kreis von überschätzen, überspielten und einfallslosen Sportlemuren. Für die Bayern 2010 musste man sich seit dem Spiel in Turin jedenfalls nicht mehr fremd schämen.