Meine Geheimfavoriten (3)

Meine Geheimfavoriten sind alle schon raus. Ghana und Bosnien-Herzegowina in der Vorrunde, die Schweiz und Chile im Achtelfinale. Bis auf Ghana alle unglücklich, alle knapp. Ghana hätte gegen Portugal gewinnen müssen, aber wer gar kein Vorundenspiel gewinnt, der fliegt dann halt auch mal raus. Bosnien-Herzegowina hat mir sehr gut gefallen, ich hoffe, die sind bei der EM 2016 dabei. Die Schweiz hat gerade eine Goldene Generation, aber Hitzfeld zu ersetzen, wird schwierig. Jemand hat getwittert, Hitzfeld sei kein wirklich großer Trainer gewesen, weil er taktisch nichts Neues kreiert habe. Hitzfeld hat mit zwei verschiedenen Mannschaftendie Champions League gewonnen, das haben nicht so viele neben ihm geschafft. Und seine große Stärke war es, die Spieler stark zu machen, die er hat. Es ist richtig, er war kein Systemtrainer, er war ein Spielertrainer, kein Taktiker, sondern ein Psychologe, und hat es geschafft, dass su unterschiedliche Spieler wie Riedle, Linke, Kuffour, Ricken über sich hinauswachsen konnten.

Chile war von den vier Geheimfavoriten der Stärkste. Nächstes Jahr sind sie Gastgeber der Copa America, da rechnen sie sich etwas aus mit dem Heimvorteil. Wenn der Schiedsrichter nicht die zwei Tore Mexikos gegen Kamerun aberkannt hätte, wäre Mexiko Gruppenerster geworden und Holland oder Brasilien wären jetzt schon raus, Chile oder Mexiko im Viertelfinale.

Alle acht Gruppensieger sind weiter gekommen sind, aber sollte man nicht vergessen, dass einer davon Costa Rica ist. Es wäre natürlich viel lustiger, wenn Holland gegen Costa Rica rausfliegt als gegen Mexiko. Einen klaren Favoriten gibt es nicht, das ist nicht erstaunlich, aber ist die WM deswegen sportlich weniger wert? 1998 quälte sich Frankreich durchs Achtelfinale und gewann durch ein Golden Goal von Laurent Blanc gegen Paraguay. Zidane sah in der Vorrunde eine Rote Karte. Trotzdem hat die Mannschaft mit dem international völlig unbekannten Trainer Aimé Jacquet einen neuen Stil begründet und viele große Spieler hervorgebracht. Karembeu, Djorkaeff, Lizarazu, Barthez, das war eine Weltauswahl in Bleu Blanc Rouge. Jacquet war äußerst bescheiden, was seine Leistung anging, und meinte einmal, eigentich bräuchte die Mannschaft keinen Trainer, die wüssten selbst, was sie zu tun haben. Jetzt ist der Boss auf dem Platz von damals, Didier Deschamps, der Trainer von heute auf der Bank. Und er macht seine Sache sehr gut. Aus überwiegend unbekannten Spielern formt er Schritt für Schritt ein Team. Vielleicht hilft es sogar, dass Ribéry nicht dabei ist. Auch die Spanier wuchsen erst dann zu einer großen Mannschaft, als Rául nicht mehr dabei war. Beide Spieler sind alles andere als Stinkstiefel, aber vielleicht waren sie zu groß, zu übermächtig, damit eine neue Mannschaft entstehen kann. Bei Bayern und Schalke waren sie zunächst die New Kids On The Block.

Trotz der bisher gezeigten ordentlichen Leistungen denke ich nicht, dass Frankreich weiterkommt. Der Auftritt gegen Nigeria war schon ziemlich halbherzig. Aber in zwei Jahren, im eigenen Land, das könnte wieder etwas werden. Ferner hoffe ich auf einen Sieg der Fliegenden Kolumbianer gegen Brasilien, befürchte, dass Costa Rica gegen Holland der Sprit ausgeht, und meine, dass Belgien auch die Argentinier jugendlich leichtsinnig überrennen wird. Was dann wie 2010 drei europäische Mannschaften ins Halbfinale brächte. Das kann eigentlich auch nicht sein. Fliegt Holland doch raus. Mir auch recht.

Der Caddy von Arjen Robben möglicherweise

War das jetzt Dusel, Kaltschnäuzigkeit, eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters, oder waren es die deutschen Tugenden im Van-Gaal-Remix? Holland wirft die lange führenden Mexikaner in den allerletzten Minuten des Achtelfinales aus dem Turnier. Vielleicht der größte Turnaround, seit Sheringham und Solskjær 1999 in Barcelona trafen. Dusel war es sicherlich auch ein bißchen, vor allem bei Sneijders Sonntagsschuß. Sneijder versemmelt sonst weitaus größere Chancen, hier passte alles. Sogar dem formidablen Ochoa versperrte der Fußballgott für einen Moment die Sicht. Der berühmte Fußballkommentator Vergil beschreibt ein ähnliches Mißgeschick, das Palinurus, dem Steuermann des Aeneas widerfuhr. Erst sieht er nichts, dann folgt der sudden death.

Siehe der Gott mit dem Zweige, vom Tau der Lethe gefeuchtet
Und einschläfernden Kräften der Styx, umschüttelt ihm beide
Schläfen; und bald schwimmet des Sträubenden Aug‘ in Betäubung.
Kaum erst hatte die Ruh unversehns ihm die Glieder gelöset,
Da machtvoll andrängend, mit berstendem Teil des Verdeckes,
Und mit dem Steuer zugleich warf jener in wallende Flut ihn

(Aeneis, 5. Gesang, Vers 854-859)

Eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters war der Elfmeter nicht. „Eine Robbe macht noch keinen Elfer“ habe ich beim DFB-Pokalfinale vor ein paar Wochen getwittert (@robalef), als der schnelle Arjen es wieder mal versuchte. Aber in diesem Fall trat ihm Marquez tatsächlich plump auf den Fuss. Abgesehen davon, dass der Holländer niemals an der Grundlinie diesen Haken schlagen darf, da stimmten die Laufwege bei den Mexikanern nicht, sie sind in dieser Situation – daher kommt die Floskel – dumm gelaufen. Der Erfolg für Holland kam, als Van Gaal aufhörte, mit dem 4-3-3 zu fremdeln , und „der Hunter“ war der Kälteste von allen im Glutofen von Fortaleza, als sein Moment gekommen war.

Im Baseball gibt es einen Relief Pitcher. Das ist ein Werfer, der nicht gut genug (konstant und nervenstark) für den starting line up (im Fußball für die Startelf) ist, aber vor allem durch seinen Fastball einen Vorsprung in den letzten der neun Innings (Spielrunden) sichern kann. Klingt irgendwie sehr nach Huntelaar in der Elftal. Oder ist er vielleicht doch eher ein Field Goal Kicker? Der Caddy von Arjen Robben? Das gute Pferd, das nicht höher springt, als es muss? Ein Schalker Jung ist er. Was irgendwie dafür spricht, dass Holland am Ende doch wieder Zweiter wird.

Bisher waren zwei der Hauptfavoriten mit einem Bein schon draußen, beide kamen zurück. Auch das ist eine Qualität. Wenn die Chilenen gewusst hätten, dass Julio Cesar eine Erfolgsquote von 30 Prozent beim Halten von Elfmetern hat, dann hätten sie vielleicht nach dem 1-1 noch eine Schippe drauf gelegt. Kolumbien zieht einsam seine Bahn, unbeachtet von den deutschen Berichterstattern, nicht zu halten von seinen Gegnern. Ob die den Brasilianern beikommen können? Die Spiele der Brasilianer erinnern mich an ihre Auftritte 2002, wo sie öfters, zum Beispiel im Halbfinale gegen die Türkei, schwer unter Druck waren, und trotzdem immer noch eine Antwort fanden. Im Zweifel ein Tor von Ronaldo.  Am Ende stand der Titel in einem tollen Endspiel mit einer überraschend guten deutschen Mannschaft, die sich bis auf das 8-0 gegen Saudi-Arabien („Rudi, hau die Saudi“) minimalistisch durchgerumpelt hatte. Ist zwar nicht sonderlich brasilianisch, wenn ein Abwehrspieler (Luiz) den anderen (Jara) zu einem Eigentor zwingt, aber wer die Hexa will, muss manchmal die Quaratur des Kreises versuchen.

Meine Geheimfavoriten (2)

Meine Geheimfavoriten haben alle noch ein Spiel vor sich und müssen bis zum Abschluss der Gruppenphase aus datenschutzrechtlichen Gründen noch geheim bleiben.

Einer ist leider schon ausgeschieden, weil ein Schiedsrichter kurz nach Mitternacht ein reguläres Tor aberkannt hat. Dafür hat jetzt eine Mannschaft eine Chance aufs Weiterkommen, die von einem Kontinent kommt, für dessen Teams ich allergrößte Sympathien habe.

Einer meiner Geheimfavoriten ist schon qualifiziert und spielt heute um den Gruppensieg. Sie haben einen Titelfavoriten aus dem Turnier gekegelt und das 1-0 in diesem Spiel war Poesie wie von Pablo Neruda (zwinker, zwinker). Einer der Spieler heißt wie ein Sänger aus dem Land, den man ermordet hat.

Der dritte Geheimfavorit hat von einem Ex-Weltmeister eine mittelschwere Klatsche übergeholfen bekommen und muss das letzte Spiel gewinnen, hat aber durchaus eine realistische Chance aufs Weiterkommen, wenn sein Trainer nicht vorher an einem Magengeschwür zugrunde geht. Die Abwehr war löchrig wie, na, wie…?

Der vierte Geheimfavorit wird vermutlich Opfer einer abgefeimten Absprache zwischen ehemals ziemlich besten Freunden. Selbst wenn sie ihr letztes Spiel hoch gewinnen, könnte es nichts nutzen. Die Mannschaft spielt in einer Gruppe, in der es bisher nur außergewöhnlich spektakuläre Spiele gab.

Anmerkungen:

Die öffentlich-rechtliche Berichterstattung spottet weitgehend jeder Beschreibung. Tom Bartels bei Deutschland-Ghana an Borniertheit kaum auszuhalten. Plädiere für kommentarlose Spiele. Lieber Planstellen abbauen und Alphabetisierungskampagnen in anderen Ländern damit finanzieren.

Japan und Südkorea waren stark, als alle defensiv spielten. In dieser Offensiv-WM geben sie keine gute Figur ab.

Costa Rica rocks. Jetzt müssen die Urus bloß noch Italien rauswerfen.

Zwei Ex-KSC-Spieler sind die meinungsbildenden Experten dieses Landes. Warum ist der KSC nur zweitklassig?

„The Last of England“ ist der Titel eines ziemlich tollen Films von Derek Jarman. Er passt aber auch für die letzten zwanzig Minuten von England – Uruguay.

Was für ein unglaublicher Luxus, Podolski, Klose, Weidenfeller und Schweinsteiger auf der Bank zu haben. Gut gewechselt, Bundestrainer.

Wenn Poldi gegen die USA ein Tor schießt, rennt er aus Versehen zu Klinsmann und umarmt ihn.

Freundliche Einladung zu meiner nächsten Lesung:

Am 28. Juni lese ich von 18 – 18.30 Uhr in der Bier- und Weinbar Otello in der Poststraße 28, 10178 Berlin aus meinem Kriminalroman „Immer schön gierig bleiben„. Veranstalter ist der Verein Nikolaiviertel e.V., der am kommenden Wochenende zum 1. Berliner Bücherfestival einlädt. Ich freue mich auf viele Zuhörerinnen und Zuhörer und glaube nicht, dass in der ersten Halbzeit des ersten Achtelfinales sonderlich viel passieren wird.